Gender Citation Gap
Bedeutung und Messung des Gender Citation Gaps
Wissenschaftliche Publikationen spielen eine wichtige Rolle für die Sichtbarkeit und Anerkennung von Wissenschaftler*innen. Die Publikationshäufigkeit und -leistung ist jedoch zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht gleichverteilt. Männer publizieren häufiger als Frauen und nehmen öfter die Rolle als Erstautor bzw. Ansprechperson ein (vgl. Daten und Fakten zum Gender Publication Gap). Neben der Anzahl an Publikationen ist für Wissenschaftler*innen zudem relevant, wie häufig eine Publikation in der Fachcommunity aufgegriffen und zitiert wird. Ist die Zitationshäufigkeit ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt, wird von einem Gender Citation Gap gesprochen. Mit diesem Begriff ist die Annahme verbunden, dass Publikationen von Frauen weniger zitiert werden als die von Männern. Der Gender Citation Gap führt, neben anderen Faktoren, zu Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern bei den Karrierechancen. Eine geringe Zitationshäufigkeit kann sich für Wissenschaftler*innen negativ auf die Karriere auswirken z.B. bei Berufungschancen auf eine Professur oder beim Zugang zu weiteren Ressourcen wie z.B. Forschungsförderung.
Für die Quantifizierung des Gender Citation Gaps erfolgt eine Gegenüberstellung der Zitationshäufigkeit bei Publikationen von männlichen und weiblichen Forschenden. Hierfür gibt es verschiedene Herangehensweisen und Indikatoren. Mehr Informationen zu den unterschiedlichen Herangehensweisen in der Messung sowie zur weiteren Bedeutung des Gender Citation Gaps stellt Wu in einem aktuellen Artikel zusammen.1
Im Folgenden beziehen wir uns auf die Berechnung des Gender Citation Gaps anhand des sogenannten Field-Weighted Citation Impact (FWCI), der vom Wissenschaftsverlag Elsevier zur Verfügung gestellt wird.2 Der FWCI ist ein Indikator für die Messung der relativen Zitationshäufigkeit einer Publikation und zeigt, wie oft eine Publikation zitiert wurde im Vergleich dazu, wie oft ähnliche Veröffentlichungen normalerweise weltweit zitiert werden. Die Zuordnung von ähnlichen Publikationen erfolgt anhand des Dokumententyps (Artikel, Review oder Konferenzbeitrag), des Publikationsjahrs und des Fachgebiets. Wissenschaftliche Publikationen werden relativ zum weltweiten Durchschnitt aus dem gleichen Jahr der Veröffentlichung in einem bestimmten Forschungsfeld bewertet. Ein Wert über 1,0 zeigt an, dass die Publikation häufiger zitiert wurde als im weltweiten Durchschnitt. So bedeutet z.B. ein FWCI von 1,1, dass diese Publikation 10 Prozent mehr Zitationen erhielt als zu erwarten war. Ein Wert unter 1,0 weist auf das Gegenteil hin: Hier besagt ein Wert von z.B. 0,8, dass diese Publikation 20 Prozent weniger Zitationen erhalten hat als ähnliche Publikationen im gleichen Zeitraum. (vgl. Informationen zum FWCI weiter unten bei „Hinweise zu den Daten“).
Entwicklung des fächerübergreifenden FWCI in Deutschland seit dem Jahr 2001
Entwicklung des fächerübergreifenden FWCI in Deutschland seit dem Jahr 2001
Die Entwicklung des Field-Weighted Citation Impacts (FWCI) von 2001 bis 2022 zeigt, dass der Wert sowohl für Frauen als auch Männer in Deutschland durchgehend über dem weltweiten Durchschnitt liegt. Bei den Frauen aus deutschen Forschungseinrichtungen lag der FWCI im Jahr 2001 bei einem Wert von 1,11, was bedeutet, dass ihre Publikationen über alle Fachbereiche hinweg 11 Prozent häufiger zitiert wurden als ähnliche Publikationen im globalen Mittelwert. Bis 2011 stieg der FWCI für Frauen in Deutschland auf einen Spitzenwert von 1,17, was einer 17 Prozent höheren Zitierhäufigkeit entspricht. Anschließend sank der FWCI der Frauen kontinuierlich und erreicht zuletzt im Jahr 2022 einen Wert von 1,04, was auf lediglich 4 Prozent mehr Zitationen hinweist als im weltweiten Durchschnitt.
Der FWCI für Publikationen von Männern aus deutschen Forschungseinrichtungen war in allen betrachteten Jahren höher als der der Frauen. Im Jahr 2001 erreichte er einen Wert von 1,14, was eine 14 Prozent höhere Zitationshäufigkeit als im weltweiten Durchschnitt bedeutet. Ab dem Jahr 2005 zeigte der FWCI der Männer eine moderate Steigerung und erreichte im Jahr 2014 einen Höchstwert von 1,24 und lag damit 24 Prozent über dem globalen Durchschnitt. Nach diesem Höhepunkt nahm der Indexwert wie bei den Frauen stetig ab und betrug im Jahr 2022 schließlich 1,07.
Entwicklung des Gender Citation Gaps
Entwicklung des Gender Citation Gaps
Um die Größe des Gender Citation Gaps für Autor*innen aus deutschen Forschungseinrichtungen zu messen, wird der FWCI von Frauen mit dem der Männer ins Verhältnis gesetzt. Dazu wird der Wert des FWCI von Frauen durch den Wert des FWCI der Männer geteilt. Ein Wert von 1,0 steht für Geschlechterparität, ein Wert unter 1,0 dafür, dass die Veröffentlichungen von Frauen seltener zitiert werden als die der Männer, und ein Wert über 1,0 gibt an, dass Veröffentlichungen von Frauen häufiger zitiert wurden. Neben der Entwicklung des FWCI für Frauen und Männer stellt die vorherige Grafik auch die Entwicklung des Gender Citation Gaps dar.
Im Jahr 2001 erreichten Veröffentlichungen von Frauen im Durchschnitt 97 Prozent der Zitationen von Veröffentlichungen der Männer, was einem Verhältnis von 0,97 entspricht. (Das Verhältnis wird wie folg berechnet: FWCIF(RAUEN) 1,11/FWCIM(ÄNNER) 1,14=0,97.) Bis zum Jahr 2014 sank dieser Wert auf einen Tiefpunkt von 93 Prozent (FWCIF 1,17/FWCIM 1,24=0,93), bevor er bis zum Jahr 2022 wieder auf 97 Prozent (FWCIF 1,04 /FWCIM 1,07=0,97) anstieg. Diese Entwicklung zeigt, dass wissenschaftliche Arbeiten von Männern über die Jahre hinweg etwas häufiger zitiert wurden als die von Frauen, die Zitationshäufigkeiten für Frauen und Männer jedoch insgesamt relativ ausgewogen sind. Die Annäherung der Werte seit dem Jahr 2018 deutet ebenfalls auf eine steigende Gleichstellung in der Sichtbarkeit und Wirkung wissenschaftlicher Publikationen zwischen Frauen und Männern hin.
Trotzdem gibt es noch Unterschiede: Frauen sind weiterhin in vielen Fachbereichen der Wissenschaft in Deutschland, insbesondere auf höheren Karrierestufen, seltener vertreten als Männer (vgl. Daten zum Frauenanteil in der Wissenschaft) und publizieren auch weniger als Männer (vgl. Daten und Fakten zum Gender Publication Gap). Dennoch werden ihre Arbeiten nur geringfügig weniger zitiert, weshalb der Gender Citation Gap im Vergleich zum Gender Publication Gap deutlich kleiner ausfällt.
Gender Citation Gap nach Fachgebieten
Gender Citation Gap nach Fachgebieten
Im Folgenden betrachten wir den Gender Citation Gap in drei zentralen Fachgebieten wissenschaftlicher Publikationen (für Informationen zu den Fachgebieten vgl. Hinweise zu den Daten): Medizin/Gesundheitswissenschaften, Sozial- und Geisteswissenschaften (inklusive Rechts- und Betriebswissenschaften) und MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik).
Im Jahr 2022 erreichen Veröffentlichungen von Frauen im Fachgebiet Medizin/Gesundheitswissenschaften im Durchschnitt einen FWCI von 1,0, was dem weltweiten Durchschnitt entspricht. Bei Männern liegt der FWCI im gleichen Jahr bei einem Wert von 1,08, also 8 Prozent über dem globalen Mittelwert. Für den Gender Citation Gap im Bereich Medizin/Gesundheitswissenschaften bedeuten diese Werte, dass Veröffentlichungen von Frauen im Durchschnitt 93 Prozent der Zitationen der Veröffentlichung von Männern erreichen (FWCIF 1,0/FWCIM1,08=0,93). Damit werden Publikationen in diesem Fachgebiet mit einem kleinen Nachteil für Frauen von anderen Wissenschaftler*innen aufgegriffen und zitiert und der Gender Citation Gap liegt bei 7 Prozentpunkten.
In Fachgebiet Sozial- und Geisteswissenschaften liegt der FWCI für Frauen im Jahr 2022 bei einem Wert von 1,08. Ihre Publikationen werden danach 8 Prozent häufiger zitiert als im globalen Durchschnitt. Männer erreichen im selben Jahr einen FWCI von 1,16, was 16 Prozent über dem weltweiten Mittelwert liegt. Entsprechend ist der Gender Citation Gap auch in diesem Fachbereich leicht zu Ungunsten der Frauen verschoben: Ihre Publikationen erreichen im Durchschnitt 93 Prozent der Zitationen der Männer (FWCIF 1,08/FWCIM 1,16=0,93).
Im Fachgebiet MINT ist der Gender Citation Gap im Jahr 2022 in Deutschland sehr klein. Publikationen von Frauen werden 7 Prozent häufiger als im weltweiten Durchschnitt zitiert (FWCI 1,07), die der Männer 9 Prozent häufiger (FWCI 1,09). Mit 98 Prozent erlangen Publikationen von Frauen fast die gleiche Zitationshäufigkeit wie die der Männer (FWCIF 1,07/FWCIM 1,09=0,98).
Entwicklung des Gender Citation Gaps in den drei Fachgebieten
Entwicklung des Gender Citation Gaps in den drei Fachgebieten
Der Gender Citation Gap zeigt in den verschiedenen Fachgebieten etwas unterschiedliche Verläufe über die Zeit. In dem Fachgebiet Medizin/Gesundheitswissenschaften konnten Frauen im Jahr 2002 6 Prozent mehr Zitationen mit ihren Publikationen erreichen als Männer (FWCIF/FWCIM=1,06), 10 Jahre später, im Jahr 2012, wurden die Publikationen von Frauen und Männern gleich häufig zitiert (FWCIF/FWCIM=1,0), während die Publikationen der Frauen im Jahr 2022 nur noch 93 Prozent der Zitationen der Publikationen von Männern erlangen (FWCIF/FWCIM=0,93).
In den Sozial- und Geisteswissenschaften liegen für das Jahr 2002 keine Messungen vor, im Jahr 2012 erzielten Publikationen von Frauen lediglich 86 Prozent der Zitationen von Publikationen der Männer (FWCIF/FWCIM=0,86). Im Jahr 2022 ist der Gender Citation Gap wieder kleiner und liegt bei 93 Prozent (FWCIF/FWCIM=0,93).
Im Fachgebiet MINT lagen die Zitationen der Publikationen bei Frauen und Männern nahezu gleichauf mit 99 Prozent (FWCIF/FWCIM=0,99). Im Jahr 2012 bewegte sich der Gender Citation Gap leicht zu Ungunsten der Frauen, da die Publikationen der Frauen 95 Prozent der Zitationen der Publikationen von Männern erzielten (FWCIF/FWCIM=0,95). Im Jahr 2022 liegen die Zitationen mit einem leichten Gap von 2 Prozent wieder nahezu gleichauf (FWCIF/FWCIM=0,98).
Zitationen aus anderen Quellen
Es konnte gezeigt werden, dass wissenschaftliche Publikationen von Frauen etwas seltener zitiert werden als die von Männern und hier ein geringfügiger Gender Citation Gap vorliegt. Bei Publikationen aus anderen Bereichen erfolgt die Zitationshäufigkeit jedoch teilweise eher zugunsten der Frauen (ohne Grafik). So zeigt sich für das Jahr 2022, dass in Publikationen aus dem Bereich Positionspapiere (dazu zählen Richtlinien, Leitlinien, Publikationen von Think-Tanks, Arbeitspapiere, Handlungsempfehlungen) deutlich häufiger Publikationen von Frauen zitiert werden. Auch in Publikationen im Rahmen einer Patentveröffentlichung wurden in Deutschland jahrelang mehr Publikationen von Frauen als von Männern in der Referenzliste herangezogen. Allerdings wurde hier im Jahr 2022 ein Gleichstand erreicht. Zahlen zeigen zudem, dass weltweit gesehen Publikationen von Frauen vermehrt in Nachrichten- und Blogbeiträgen zitiert werden, während Publikationen von Männern häufiger in Wikipedia-Artikeln als Zitationsbeleg herangezogen werden.
Literatur
Literatur
1 Wu, Cary (2024): The gender citation gap: Approaches, explanations, and implications. In: Sociology Compass, 2024; e13189. doi:10.1111/soc4.13189
2 Van der Linden, Nicolien; Roberge, Guillaume & Malkov, Dmitry (2024): Gender Equality in Research & Innovation – 2024 Review. Elsevier Data Repository, V2. doi:10.17632/bb5jb7t2zv.2
Weiterführende Publikationen
Van der Linden, Nicolien; Roberge, Guillaume & Malkov, Dmitry (2024): Gender Equality in Research & Innovation – 2024 Review. Elsevier Data Repository, V2. doi: 10.17632/bb5jb7t2zv.2
zur PublikationEuropäische Kommission, Generaldirektion Forschung und Innovation (2021): She figures 2021. Tracking progress on the path towards gender equality in research and innovation. Publications Office, 2021.
zur Publikation
Hinweise zu den Daten
Anleitung zum Download der Grafik und Daten:
Die Grafiken und die zu Grunde liegenden Daten können jeweils durch einen Linksklick auf die drei Striche rechts oben am Rand der Grafik heruntergeladen werden. Bei Weiterverwendung der Grafiken oder Daten bitten wir um Angabe der Quellen.
Datenquelle:
Elsevier 2024: Progress Toward Gender Equality In Research And Innovation (Online Dashboard)
Anmerkungen:
- Grundgesamtheit: In der Scopus-Datenbank erfasste Artikel, Reviews und Konferenzbeiträge (nur Peer-Review-Publikationen) der Jahre 1998-2022.
- In der Analyse werden alle Autor*innen berücksichtigt, für die ein Vorname bestimmt und mithilfe eines Tools zur Namensprüfung (NamSor) ein Geschlecht zugeordnet werden kann (mit einer Wahrscheinlichkeit von über 0,85) und die aktiv publizieren (mindestens zwei Publikationen innerhalb eines Fünf-Jahres-Zeitraums).
- Fachgebiete: In der Scopus-Datenbank werden Publikationen nach der sogenannten “All Science Journal Classification” (ASJC) den vier großen wissenschaftlichen Fachgebieten (Lebenswissenschaften, Naturwissenschaften, Medizin/Gesundheitswissenschaften und Sozial- und Geisteswissenschaften) zugeordnet. Elsevier stellt die Daten aus Scopus für die Fachgebiete Medizin/Gesundheitswissenschaften, Sozial- und Geisteswissenschaften, MINT (Zusammenfassung von Lebenswissenschaften und Naturwissenschaften) zur Verfügung.
Wenn eine Veröffentlichung mehreren Fachgebieten zugeordnet ist, wird ein spezieller Mittelwert verwendet. - Zuordnung des Herkunftslands: Die Zuordnung des Herkunftslands erfolgt über die Angaben im Jahr der ersten Publikation der Autor*innen, die in der Scopus-Datenbank zur Verfügung steht. Wenn im ersten Jahr der Publikation mehrere Publikationen mit unterschiedlichen Länderzuordnungen erschienen sind, wird auf das Land verwiesen, zu dem es mehr Publikation gab. Bei gleich vielen Publikationen mit unterschiedlichen Länderzuordnungen wurde das Geschlecht der Autor*innen nicht zugeordnet.
Field-Weighted Citation Impact (FWCI):
- Berechnung: Anzahl erhaltener Zitationen von Publikation x / erwartete Anzahl an Zitationen von allen vergleichbaren Publikationen im Veröffentlichungsjahr und den drei folgenden Jahren.
- Vergleichbare Publikationen teilen folgende Merkmale: Veröffentlichungsjahr, Dokumententyp und Fachgebiet.
- Der FWCI wird vor allem verwendet, um die Berücksichtigung der Zitationsgepflogenheiten in verschiedenen Disziplinen objektiver zu bewerten und eignet sich besonders gut, um die Leistung von Publikationen in multidisziplinären Forschungseinrichtungen zu vergleichen. Beim fächerübergreifenden FWCI trägt jede Disziplin gleichwertig zu diesem Maß bei, wodurch Unterschiede im Zitationsverhalten von Forschenden ausgeglichen werden. Ein Wert von 1 bedeutet, dass das Dokument häufiger zitiert wurde als anhand des Vergleichs mit ähnlichen Publikationen zu erwarten war.
Einschränkungen / Brüche in den Daten:
- Nachteile des FWCI sind, dass der verwendete Mittelwertvergleich von Ausreißern beeinflusst werden kann. Der FWCI ist nicht für alle Fachgebiete verfügbar. Darüber hinaus ist der FWCI auf Zitationen aus dem Jahr der Veröffentlichung plus drei Jahre beschränkt, so dass Zitationen zu einem späteren Zeitpunkt nicht berücksichtigt werden.
- Da der FWCI die Anzahl von Zitationen im Veröffentlichungsjahr und den drei folgenden Jahren berücksichtigt, können sich Werte für die Jahre 2021 und 2022 noch verändern (Stand 2024).
Weitere Informationen finden Sie im Research Metrics Guidebook von Elsevier (S. 46).