Die Sichtbarkeit von exzellenten Frauen in der Wissenschaftsgeschichte, insbesondere in den Bereichen Physik und Mathematik, ist von großer Bedeutung. Viele bedeutende wissenschaftliche Entdeckungen und Theorien gehen auf die Forschungsleistungen von Frauen zurück, wurden jedoch zu ihren Lebzeiten oft nicht angemessen gewürdigt. Eine neue Nachwuchsforschungsgruppe der Universität Siegen hat es sich zum Ziel gesetzt, die Beiträge von Frauen in der Physik- und Mathematikgeschichte des 20. Jahrhunderts zu erforschen – und sogenannte „Gender Biases“ im Schnittfeld von Wissenschafts- und Philosophiegeschichtsschreibung zu analysieren. Damit wollen sie auch zu einem neuen Verständnis von Wissenschaftsphilosophie und -geschichte beitragen.

"Gender Biases" sind systematische Verzerrungen aufgrund geschlechtsbezogener Vorurteile, die zu Benachteiligungen führen. Diese Verzerrungen wirken nicht nur in der alltäglichen Kommunikation, sondern auch in der Wissenschaft, Forschung und Wissenschaftsgeschichte. Das Ziel der Forschungsgruppe ist es, den Beitrag von Frauen zur mathematischen Physik neu zu bewerten und innovative Ansätze zur Geschichtsschreibung und Philosophie der Wissenschaften im Kontext der Geschlechtergerechtigkeit zu entwickeln.

Ein Beispiel für die Unterbewertung der wissenschaftlichen Beiträge von Frauen ist die amerikanische Mathematikerin Christine Ladd-Franklin, der trotz ihrer Qualifikation der Doktortitel verwehrt wurde, weil sie eine Frau war. Ihre Beiträge in Philosophie, Logik, Mathematik und Psychologie waren dennoch sehr einflussreich. Nach ihrem Tod geriet sie jedoch in Vergessenheit, während ihr Lehrer, der Mathematiker Charles Sanders Peirce, gefeiert wurde.

Die Forscher*innen der neuen Forschungsgruppe verwenden Archivmaterial wie Briefe und wissenschaftliche Aufsätze sowie quantitative Daten zur Anzahl der Zitierungen, um den Beitrag von Frauen in der Geschichte von Physik und Mathematik zu erfassen. Dieser Blick in die Historie hat direkte Auswirkungen auf die Gegenwart und die Zukunft, da stereotype Denkmuster durch die Fortschreibung der vermeintlichen Abwesenheit von Frauen im wissenschaftlichen Kanon weitervererbt werden. Die Forschungsgruppe möchte auf diese Machtstrukturen aufmerksam machen und sie durch ihre Arbeit herausfordern.

Die Nachwuchsforschungsgruppe „Geschichte und Philosophie neu denken: Frauen im Fokus“ wird von der Universität Siegen im Rahmen des Professorinnen-Programms von Bund und Ländern mit 420.000 Euro gefördert.

Weitere Informationen auf der Website der Uni Siegen