Wie werden Wissenschaftlerinnen mit Kind(ern) sichtbarer?
Moms@ScienceInstitutionelle und strukturelle Barrieren für Wissenschaftlerinnen mit Kind(ern) führen zur Unsichtbarkeit von Leistungen und beeinträchtigen Karrierechancen in der Wissenschaft.
Im IFiF-Impulse-Vortrag "Mutterschaft ist eigentlich der Hauptfaktor hier" beleuchteten Dr. Lisa Tölle und Dr. Franka Metzner vom Projekt moms@science die Situation von Wissenschaftlerinnen mit Kindern im deutschen Wissenschaftssystem. Zu Beginn erläuterte Dr. Lisa Tölle die Entstehung des Projekts: Wissenschaftlerinnen mit Kindern sind im Wissenschaftssystem mit strukturellen und institutionellen Hürden konfrontiert, die ihre Karriere und die Sichtbarkeit ihrer Leistungen einschränken. Viele reduzieren deshalb ihre wissenschaftliche Tätigkeit oder geben ihre Ambitionen ganz auf.
Neben allgemeinen geschlechterbezogenen Benachteiligungen wirken für Mütter zusätzliche care-spezifische Mechanismen. Als Beispiel nennt Lisa Tölle die Maternity Wall, dem verbreiteten Narrativ, das Mutterschaft und wissenschaftliche Exzellenz als unvereinbar darstellt. Wissenschaftler*innen werden als von Care-Arbeit befreit gedacht, während Mütter als emotional oder weniger rational konstruiert werden. Diese Vorstellungen zeigen sich nicht nur diskursiv, sondern auch ganz konkret im Wissenschaftsalltag, etwa durch Abendtermine, die Mütter vor zusätzliche Herausforderungen bezüglich der Kinderbetreuung stellen und deshalb für sie häufig nicht wahrnehmbar sind.
Gleichzeitig machte Lisa Tölle deutlich, dass Wissenschaftlerinnen mit Kindern innovative Wege finden, um ihre Karriere fortzusetzen: durch kreative Karriereverläufe, neue Arbeitsmodelle wie Tandemprofessuren oder veränderte Arbeitsstrukturen in Forschungsteams. Mutterschaft beeinflusst dabei auch wissenschaftliche Inhalte und Arbeitsweisen, beispielsweise durch neue Forschungsthemen, andere Teamzusammensetzungen oder angepasste Arbeitsabläufe. Diese Erfolge bleiben jedoch häufig unsichtbar oder werden nicht als solche anerkannt. Genau hier setzt das Projekt moms@science an.
Ziel des Projekts ist es, die Leistungen und Erfolge von Wissenschaftlerinnen mit Kindern sichtbar zu machen, strukturelle Einflussfaktoren auf ihre Sichtbarkeit aufzudecken und daraus nachhaltige Maßnahmen für Hochschulen abzuleiten. Methodisch verbindet moms@science einen explorativen mit einem interventiven Ansatz: Narrative Interviews bilden die empirische Grundlage, auf deren Basis eine umfassende Sichtbarkeitskampagne entwickelt wird. Ergänzend dazu wird ein Maßnahmenkatalog erstellt, mit dem sich die Rahmenbedingungen für Wissenschaftlerinnen mit Kind(ern) an Hochschulen nachhaltig verbessern lassen. Dieser Katalog soll Hochschulen und Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden.
Dr. Franka Metzner stellte anschließend erste Ergebnisse eines systematischen Literaturreviews vor. Unter anderem wurden 44 Studien näher analysiert, die Mütter mit Vätern oder kinderlosen Kolleg*innen vergleichen. Die Studien untersuchen unter anderem Arbeitszeiten, Publikationsimpact, Zufriedenheit, Karrierepositionen, Mobilität und wahrgenommene Unterstützung. Ein erstes Zwischenergebnis aus dem Literaturreview ist, dass Mütter in vielen Bereichen des Wissenschaftssystems schlechter gestellt sind als die Vergleichsgruppen.
Anschließend berichtete Lisa Tölle aus der laufenden Interviewstudie des Projekts. Insgesamt zeigt sich eine hohe Bereitschaft von Wissenschaftlerinnen mit Kindern, über ihre Biografien zu sprechen. Erste Auswertungen der bereits geführten Interviews lassen mehrere dominante Phänomene erkennen, darunter Diskriminierungserfahrungen, Mehrarbeit und Selbstausbeutung, aber auch Solidarität, Netzwerke und gezielte gegenseitige Unterstützung unter Müttern in der Wissenschaft.
Im interventiven Teil des Projekts werden diese Erkenntnisse nun in konkrete Sichtbarkeitsformate übersetzt. Über Social Media, eine geplante Podcast-Reihe und eine Wanderausstellung sollen Wissenschaftlerinnen mit Kindern als Role Models sichtbar gemacht und Nachwuchswissenschaftlerinnen Orientierung geboten werden. Die Wanderausstellung ist für Ende 2026 geplant und wird an mehreren Standorten sowie online zugänglich sein.
Das Projekt ist offen für weitere Wissenschaftlerinnen mit Kind(ern), die ihre Erfahrungen einbringen möchten.