Am 29. und 30. Juli blickte das IFiF-Projekt AktArcha auf der Abschlusstagung auf drei Jahre Projektlaufzeit zurück und präsentierte viele Einblicke in die Welt von Archäologinnen.
AktArcha
Akteurinnen archäologischer Forschung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: Im Feld, im Labor, am Schreibtisch
Steckbrief
- Institution:
- Universität der Bundeswehr München
- Laufzeit:
- September 2021 - August 2024
- Kontakt:
-
apl. Prof. Dr. Elsbeth
Bösl
elsbeth.boesl@unibw.de - Web:
-
Externer Link
www.unibw.de/geschichte/aktarcha
Externer Link Blog - aktarcha.hypotheses.org
Social Media Externer Link "Akteurinnen archäologischer Forschung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: Im Feld, im Labor, am Schreibtisch" auf Twitter Externer Link "Akteurinnen archäologischer Forschung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: Im Feld, im Labor, am Schreibtisch" auf Instagram
Aktuelles aus dem Projekt
Akteurinnen archäologischer Forschung
Das Projekt „Akteurinnen archäologischer Forschung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: Im Feld, im Labor, am Schreibtisch“ (AktArcha) erforscht die Biografien und die Forschungsleistungen von Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen der archäologischen Arbeit seit dem späten 18. Jahrhundert. Bisher wurden Frauen aus der Fachgeschichte weitestgehend ausgeklammert. Entsprechend sind Archäologinnen, insbesondere diejenigen aus früheren Zeiten, in der öffentlichen Wahrnehmung kaum präsent. Das Projekt macht diese Frauen sichtbar und stellt sie unter anderem in der mobilen Posterausstellung „Ein gut Theil Eigenheit. Lebenswege früher Archäologinnen“ dem Publikum vor.
Aus der Geschichte lernen
Im Projekt werden auch die sozialen Medien und ein eigener Blog genutzt, um die Biografien archäologisch arbeitender Frauen im kollektiven Gedächtnis zu verankern und um strukturelle Ungleichheiten und problematische Machtkonstellationen aufzuzeigen. So werden historische Erkenntnisse vermittelt, die anderen helfen könnten, gegenwärtige Exklusionsvorgänge besser zu erkennen und zu neuen, gerechteren Strategien im Umgang mit Diversität zu finden.
Interdisziplinärer Ansatz
Indem Biografieforschung, Wissenschaftsgeschichte und archäologische Geschlechterforschung kombiniert werden, wird die Fachentwicklung multiperspektivisch untersucht. Dabei werden Geschlecht und andere Strukturkategorien als erkenntnisleitende Kategorien eingesetzt. Das übergeordnete Erkenntnisinteresse dieses Projektes richtet sich auf die Bedeutung von Geschlecht für die epistemologische und methodologische Entwicklung der Archäologien. Der wissenschaftshistorischen Forschung werden die Ergebnisse mithilfe des digitalen, biographischen Informationssystems „Propylaeum-VITAE: Akteure – Netzwerke – Praktiken“ sukzessive zur Verfügung gestellt.
Alles auf einen Blick
AktArcha ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das die Expertisen und die Vorgehensweisen der prähistorischen Archäologie, der Wissenschaftsgeschichte und der Geschlechterforschung verknüpft.
Im Rahmen von AktArcha erforschen wir Lebens- und Schaffenswege von Frauen in den Archäologien seit dem späten 18. Jahrhundert und machen deren Ideen, Leistungen und Arbeitsweisen sichtbar. Die Ergebnisse sind über das biografische Informationssystem Propylaeum Vitae sukzessive zugänglich. Ende 2022 eröffnen wir die Wanderausstellung „Ein gut Theil Eigenheit. Lebenswege früher Archäologinnen“.
Ausstellung und Social-Media-Aktivitäten wenden sich einerseits an jüngere Frauen und Mädchen während der Berufsfindung, andererseits an ein breites, kulturell und historisch interessiertes Publikum. Der Forschung stellen wir mit den erarbeiteten Biografien empirische Daten zur Verfügung, die z.B. für die Untersuchung von Forschungsnetzwerken, aber auch von Innovationswegen und Machtkonstellationen benötigt werden.
Wir bringen im Projekt AktArcha die Perspektiven der archäologischen Genderforschung und der Wissenschaftsgeschichte mit den Möglichkeiten der Biografieforschung und der Digital Humanities zusammen.
Der Aufsatz "Women’s Contributions to Archaeology in Germany Since the Nineteenth Century" von Doris Gutsmiedl-Schümann, Julia Katharina Koch & Elsbeth Bösl ist im Juli 2023 im Sammelband "Women in Archaeology" erschienen. Unter link.springer.com/chapter/ können Sie den Aufsatz lesen.
Im Projekt wurden Biografien von neun frühen archäologisch arbeitenden Frauen recherchiert und aufbereitet. Diese Poster lassen sich auch in der digitalen Ausstellung betrachten.
archaeologinnen-lebenswege.de
Akteurinnen archäologischer Forschung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: im Feld, im Labor, am Schreibtisch
Kennen Sie eine Archäologin? Wenn nicht, geht es Ihnen wie vielen anderen! Obwohl Frauen schon seit Langem archäologische Forschung betreiben und bedeutende Beiträge zur Archäologie leisten, sind Archäologinnen nur wenig bekannt. AktArcha will das ändern. Ziel des Projektes ist es, das Bild nachhaltig zu verändern und um viele Akteurinnen zu erweitern. Wie das gelingt, lesen Sie im Interview mit den beiden Projektleiterinnen apl. Prof. Dr. Elsbeth Bösl und PD Dr. Doris Gutsmiedl-Schümann.
Mit dem Projekt AktArcha wollen Sie innovative Frauen in der Archäologie des 19. und 20. Jahrhunderts sichtbar machen. Wie gehen Sie konkret vor?
Im Forschungsprojekt AktArcha forschen wir historisch-biografisch über archäologisch tätige Frauen in ihren unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Zudem befassen wir uns aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht mit der strukturellen und epistemologischen Bedeutung von Geschlecht in den archäologischen Fächern.
Unser Projekt umfasst drei Aufgabenbereiche: Forschung und die zeitnahe Bereitstellung unserer Forschungsdaten für andere Forschende sind zwei unserer Aufgaben, Vermittlung die dritte. In die Wissenschaft bringen wir unsere Forschungsergebnisse nicht nur mit Hilfe von Aufsätzen, Posterpräsentationen und Vorträgen, sondern vielmehr – und das steht sogar im Mittelpunkt –, durch das dynamische biografische Informationssystem Propylaeum Vitae. Es ist für alle Interessierten digital zugänglich. Diese für das Projekt AktArcha essentielle Dateninfrastruktur wird uns von der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts, vom Leiza-Zentrum für Archäologie und von der Universitätsbibliothek Heidelberg zur Verfügung gestellt.
An die breitere interessierte Öffentlichkeit wenden wir uns mit der Posterausstellung „Ein gut Theil Eigenheit“ – Lebenswege früher Archäologinnen. Wir zeigen sie seit November 2022 an wechselnden Orten in Deutschland. Auf neun Roll-Ups stellen wir Frauen vor und verorten sie in ihrer Zeit. Diese Ausstellung ist transportabel und flexibel und kann von den zeigenden Häusern ganz nach Belieben durch weitere Poster, Exponate und durch ein Begleitprogramm ergänzt werden, zu dem wir gern beitragen. Es gibt zudem eine Audioversion, die über QR-Codes aufgerufen werden kann. Die Ausstellung ist kompakt genug, um auch in kleinen Einrichtungen, z.B. Heimatmuseen oder Volkshochschulen präsentiert werden zu können.
Sie hat auch eine virtuelle Zwillingsschwester bekommen, die unter archaeologinnen-lebenswege.de aufrufbar ist. Zurzeit entstehen Booklets, die die Inhalte der Ausstellung in Einfacher Sprache vermitteln. Damit wollen wir die Barrieren weiter reduzieren.
Flankiert wird all das von unserem Blog „Akteurinnen archäologischer Forschung und ihre Geschichte(n)“. Wöchentlich erscheint dort mindestens ein Beitrag. Wir haben den Blog auf der Plattform Hypotheses angesiedelt. Diese ist auf geisteswissenschaftliche Blogs spezialisiert und stellt sicher, dass die Texte langfristig unter stabilen URLs erreichbar bleiben. Für uns ist es wichtig, dass unsere Beiträge nicht nur zitierfähig sind, sondern möglichst lange auch von anderen genutzt werden können. Social Media nutzen wir als unterstützende Kommunikation und für aktuelle Nachrichten aus dem Projekt.
Warum ist es heute noch wichtig, die Biografien früher archäologisch arbeitender Frauen zu erforschen?
Ein Ziel der BMBF-Förderrichtlinie "Innovative Frauen im Fokus" ist es, die wissenschaftlichen Leistungen und innovativen Ideen von Frauen und ihre Potenziale sichtbar werden zu lassen. Wir stellen dafür mit unserem Projekt Orientierungswissen zur Verfügung, indem wir forschende und wissenschaftlich arbeitende Frauen der Vergangenheit sichtbar machen.
Die Archäologie haben wir als Beispiel gewählt, doch das Prinzip lässt sich auf Frauen in anderen Wissenschaftszweigen oder Gesellschaftsbereichen übertragen. Es geht dabei nicht darum, aus der Vergangenheit wie aus einem Rezeptbuch für die Gegenwart zu lernen. Weder aus den Fehlern noch aus den Erfolgen können wir einfach Handlungsanleitungen für die Gegenwart und Zukunft entwickeln. Die Geschichtsforschung hat keinen solchen interventionistischen Anspruch, weil sich historische Situationen zu sehr von den heutigen unterscheiden. Aber wir nehmen unsere Leitfragen aus der Gegenwart und untersuchen die Gewordenheit des Heutigen.
Wie wurde, was heute ist? Wie wandelten sich zum Beispiel Geschlechterideale oder Rollenverständnisse in der Vergangenheit? Wie ist das heutige Bildungssystem entstanden? Welche Geschichte haben Ungleichheiten, Diskriminierungen und Marginalisierung in der Gesellschaft? Wie gingen frühere Gesellschaften mit menschlicher Unterschiedlichkeit um, und welche Bedeutung hatten Strukturkategorien wie Geschlecht, Alter oder Ethnizität?
Das Wissen um die Vergangenheit kann uns helfen, ein Gespür für ausgrenzende, abwertende oder ungerechte Strukturen und Denkweisen in der Gegenwart zu entwickeln. Dies kann uns dabei unterstützen, Ideen und Politiken zu entwerfen, die zu mehr Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Würdigung beitragen – was nicht nur Frauen zugutekäme, sondern diversen marginalisierten oder unterschätzten Gruppen. Zudem bieten wir Impulse für Berufswahl und Karriereplanung an, indem wir die interessanten und komplexen, auch brüchigen und komplizierten Lebenswege 'unserer Archäologinnen' der Öffentlichkeit vorstellen.
Mit welchen Schwierigkeiten hatten frühe Archäologinnen zu kämpfen?
Hier müssen wir je nach Epoche unterscheiden. Die ersten Frauen, die ab dem frühen 19. Jahrhundert archäologisch arbeiteten, waren von der universitären Ausbildung und Laufbahn fraglos ausgeschlossen – aber das waren auch sehr viele Männer. Wir können also nicht nur auf die verwehrten Bildungs- und Qualifikationschancen schauen, sondern müssen auch berücksichtigen, ob Frauen in den Fachgesellschaften, in der archäologischen Praxis oder im Museums- und Publikationsbetrieb eine Rolle spielten.
Und manche Frauen des 19. Jahrhunderts taten das durchaus, so zum Beispiel Johanna Mestorf, Amalie Buchheim, Käte Rieken und Ida von Boxberg. In manchen wichtigen Altertumsvereinen und Fachgesellschaften, wie der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, waren Frauen als Mitglieder zugelassen. Sie leisteten dort wesentliche Beiträge zur Forschung. Elisabeth Lemke, Margarete Lehmann-Filhés und Julie Schlemm gehörten zu diesen Frauen. Mit der Möglichkeit, das Abitur abzulegen und mit dem Zugang zu den Universitäten ab der Zeit um 1900 konnten Frauen auch promovieren, und seit 1920 sogar habilitieren. Doch nur sehr wenige Frauen gingen anfangs diesen Weg – meist stammten sie aus dem höheren Bürgertum, hatten finanziellen Rückhalt, oder waren eigentlich Lehrerinnen von Beruf, die die Chance ergriffen, sich weiterzuentwickeln. Einige von ihnen machten die Archäologie zu ihrem Beruf – in Museen wie Elvira Fölzer und Hermine Speier und auch an den Universitäten wie Margarete Bieber. Andere arbeiteten nach dem Studium wieder als Lehrerinnen, wie etwa Hildegard Knack, Emma Pressmar oder Gertrud Dorka. Neben diesen Frauen gab es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch viele Frauen ohne eine abgeschlossene akademische Qualifikation, die ehrenamtlich viel leisteten. Unter ihnen waren Liddy Bierbaum, die Assistentin ihres Bruders in der sächsischen Bodendenkmalpflege, und Gertrud Eichhorn, die mit ihrem Ehemann am damaligen Germanischen Museum in Jena arbeitete. Zu nennen sind auch Vera und Georg Leisner, die für ihre gemeinsamen Forschungen an Megalithanlagen auf der Iberischen Halbinsel bekannt wurden. Solche sehr fruchtbare Kooperationen von Paaren konnten wir mehrfach nachweisen.
Hingegen haben wir bisher nicht mit Quellen belegen können, dass Forschungen, Beiträge oder Übersetzungen von Frauen bewusst von Angehörigen oder anderen Männern vereinnahmt und als die eigenen ausgegeben wurden – obwohl das sehr oft vermutet wird. Sehr viel häufiger scheinen die Verdienste von Frauen einfach verdrängt oder schnell vergessen worden zu sein. Das gilt zum Beispiel für die Übersetzungen aus den skandinavischen Sprachen, die Johanna Mestorf um 1890 anfertigte. Ohne ihre sachkundige Übertragung hätte die deutschsprachige prähistorische Archäologie um die Jahrhundertwende nie den Anschluss an die führenden Skandinavier gefunden.
In der Fachgeschichte wird ihre Übersetzungstätigkeit aber übergangen, wenngleich Johanna Mestorf selbst keineswegs zu den ganz vergessenen Archäologinnen zählt. Im Gegenteil, als Museumsdirektorin und erste Professorin Preußens gehört sie zu den bis heute bekannteren archäologisch arbeitenden Frauen. Hier zeigt sich aber deutlich, dass unterschiedliche Tätigkeiten, die jeweils auf verschiedenartige Weise wichtig für die Fachentwicklung waren – übersetzen, ein Museum leiten, forschen – unterschiedlich bewertet und mithin erinnert wurden. Frauen übten zu einem großen Teil gerade die Tätigkeiten aus, die weniger wertgeschätzt wurden.
In der Projektbeschreibung von AktArcha heißt es, dass das Geschlecht und dessen soziokulturelle Implikationen im 18. bis 21. Jahrhundert eine maßgebliche Untersuchungskategorie der Archäologiegeschichte darstellen. Was haben Sie diesbezüglich bereits herausgefunden?
Geschlecht strukturiert die Zugangs- und Karrierechancen in den Archäologien und kreuzt dabei andere Strukturkategorien wie Klasse- und Schichtzugehörigkeit, Ethnizität und Herkunft sowie Religion. Zudem zeigt sich, dass Fachkulturen geschlechtsbezogen ausgestaltet wurden. Ersichtlich wird das zum Beispiel am Gebrauch von unterschiedlichen Attributen und Qualitätskriterien in Promotionsgutachten für Männer und Frauen.
Archäologinnen wurden zum Beispiel mehr für ihre Sorgfalt und ihren Fleiß gelobt als Männer bzw. wurde genau hier besonders viel von ihnen erwartet. Tendenziell kritisiert wurden Frauen für mangelnden Überblick oder geringere Intellektualität. Dahinter scheinen Vorstellungen idealer Charaktereigenschaften von Männern und Frauen auf. Über Hermine Speier sagte ihr Doktorvater Ludwig Curtius, der Direktor des DAI in Rom 1925: „Ich würde ihr das beste Prädikat geben, wenn nicht dieses [Prädikat] ausgezeichneten Leistungen, die eben doch nur männlichen Naturen gelingen, vorbehalten bleiben müsste."
Historikerinnen wie die Britin Dr. Bettany Hughes haben gezeigt, dass der Anteil der Frauen an der Bevölkerung immer bei etwa 50 Prozent lag, sie aber nur etwa 0,5 Prozent der aufgezeichneten Geschichte ausmachen. Besteht möglicherweise ein Zusammenhang zwischen dem Ausschluss von Frauen aus der archäologischen Forschung und einer männlich geprägten Geschichtsschreibung, die Frauen ignoriert und ihre Leistungen vernachlässigt hat?
Frauen waren in der Vergangenheit gar nicht zwangsläufig ausgeschlossen oder nicht präsent, sondern sie werden nur weniger gesehen und erinnert. Das liegt z.B. daran, dass sie tendenziell eher Positionen besetzten und Dinge erledigten, die nicht so sichtbar waren wie andere. Kaum jemand erinnert sich an Zeichnerinnen und Bibliothekarinnen, Museumsmitarbeiterinnen und selbst Universitätsassistentinnen – aber wir erinnern uns eben auch nicht an die meisten der männlichen Grabungsarbeiter, Konservatoren oder Techniker, sondern nur an einzelne, eben meist männliche Forscherpersönlichkeiten, die eine exponierte Stellung oder eine formale Führungsposition wie z.B. eine Professur innehatten. Das vermittelt leider ein ganz falsches Bild von archäologischer Forschung, die nämlich zu einem sehr hohen Maße Teamarbeit war und ist. Die wirklich wichtigen Funde und Befunde gehen ganz selten auf die Tätigkeit einer Einzelperson zurück. Dennoch werden solche Einzelpersonen eher erinnert als die Mehrheit der Beteiligten. Das liegt zum Beispiel daran, dass mit einer herausgehobenen beruflichen Position in der Regel mehr mediale Beachtung und Visibilität einhergehen.
Heinrich Schliemann zum Beispiel wusste die Medien seiner Zeit hervorragend für seine Zwecke zu nutzen. Heute ist das öffentliche Interesse an Archäologie weiter groß. Das gilt nicht nur für Fernsehdokumentationen, Filme, Ausstellungen oder populärwissenschaftliche Bücher und Zeitschriften, sondern besonders auch für die sozialen Medien. In Blogs, Podcasts, Youtube-Kanälen oder auch auf Instagram werden archäologische Inhalte vermittelt – und damit auch bestimmte Bilder von archäologisch arbeitenden Personen. Das öffentliche Interesse finden offenbar besonders die Ausgrabung sowie spektakuläre Objekte und Fundorte. Besondere Aufmerksamkeit erhalten diejenigen, die graben oder mit naturwissenschaftlich-technischen Methoden die Funde analysieren: Diese Personen werden überwiegend männlich gedacht und gelesen. Viele Tätigkeiten und Beiträge anderer Personen, die unabdingbar für die archäologische Forschung und Vermittlung sind, werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.
In der Wissenschaft im engeren Sinn sind Frauen auch deshalb weniger sichtbar, weil ihre memoria seltener gepflegt wird. Archäologinnen wurden erst seit den 1970er Jahren auf Professuren berufen, auf denen sie einen eigenen Forschungs- und Lehrschwerpunkt aufbauen und wissenschaftlichen Nachwuchs ausbilden konnten, der später die Erinnerung an sie z.B. durch Festschriften und Nachrufe wachhielt. Auffällig ist auch, dass bis heute die Grundlagentexte der archäologischen Lehre an den Universitäten überwiegend von Männern stammen und ebenso überwiegend von Männern erzählen. Publikationen von Frauen tauchen in den Seminarlektüren deutlich seltener auf. Sehr auffällig ist auch, dass in den Lehrbüchern vor allem der prähistorischen Archäologie den Studierenden und damit künftigen Archäologinnen und Archäologen überwiegend männliche Vorbilder aus der Geschichte des Faches angeboten werden. In der Einführungsliteratur kommen archäologisch arbeitende Frauen so gut wie nicht vor, obwohl es in der Fachgeschichte Beispiele für teilweise sogar sehr einflussreiche Archäologinnen gäbe.
Was hat Sie bei Ihrer Recherche/Forschung bislang am meisten beeindruckt?
Völlig begeistert sind wir von den Optionen der Digital Humanities, die uns vernetzte Recherchen ermöglichen, die noch vor kurzer Zeit undenkbar gewesen wären. Wir arbeiten u.a. täglich mit Retrodigitalisaten, online zugänglichen Datenbanken von Archiven und Bibliotheken und mit Portalen, die solche Ressourcen miteinander verknüpfen. All das fördert einen inklusiven und demokratischeren Zugang zu Informationen.
Wichtig sind für uns auch KI-gestützte Hilfen wie DeepL, weil uns dadurch Übersetzungen aus Fremdsprachen möglich sind, die wir nicht beherrschen. Und all diese Optionen wachsen ständig. Ein Beispiel: Zweimal im Abstand von ca. einem halben Jahr haben wir mit der gleichen Recherchestrategie und denselben Mitteln im Web nach Spuren der Berliner Autodidaktin und Übersetzerin Margarethe Lehmann-Filhés gesucht.
Beim ersten Versuch stießen wir auf ihre Publikationen sowie auf ein, zwei verstreute Meldungen über ihre Übersetzungen aus dem Isländischen. Biografische Daten oder gar ein Bild fanden wir aber nicht. Beim späteren zweiten Versuch stießen wir mit der gleichen Suchstrategie plötzlich auf einen nun in isländischer Sprache veröffentlichten, retrodigitalisierten Nachruf in einer isländischen Literaturzeitschrift. Endlich erfuhren wir etwas über das Leben der Forscherin und hatten sogar ein Bild. Auf analogem Weg hätten wir das vermutlich nie herausgefunden – zu abseitig war die Quelle.
Was wir gefunden haben, geben wir selbst gern weiter: Auf dem Blog haben wir Margarethe Lehmann-Filhés gleich vorgestellt. So lassen wir unsere Leser*innen an dem Erlebnis teilhaben, mit traditionellen und neuen geschichtswissenschaftlichen Methoden und Werkzeugen der Heuristik, Recherche und Auswertung vergessene Frauen buchstäblich auszugraben und eine erstaunliche Menge an Informationen über sie zusammenzutragen.
Welche Rolle spielten Frauen in der frühen Archäologie und wie haben diese Frauen unser Wissen über unser kulturelles Erbe beeinflusst?
In unserem Begriff von archäologischer Arbeit steht die archäologische Fundstelle mit ihren Befunden und Funden im Mittelpunkt. Diese Funde und Befunde sind Gegenstand einer Vielzahl unterschiedlichster Tätigkeiten – von der Suche nach der potentiellen Fundstelle bis hin zur Publikation und musealen Präsentation der Forschungsergebnisse. Und daran sind die verschiedensten Personen mit unterschiedlichen Qualifikationen und Kompetenzen beteiligt.
Unser Blick war also breit, als wir uns auf die Suche nach den Frauen gemacht haben. Und so haben wir Frauen in der Fachgeschichte der Archäologie in ganz verschiedenen Rollen und Funktionen angetroffen: als Ausgräberinnen, Zeichnerinnen, Finanziers, Organisatorinnen und Bürokräfte, als Lektorinnen und Bibliothekarinnen, als Fotografinnen oder Übersetzerinnen, als Labor- oder Sammlungsangestellte, Kuratorinnen, Restauratorinnen; im Privaten ebenso wie an den Universitäten, Museen und Sammlungen und in der Bodendenkmalpflege; in untergeordneter, intermediärer oder leitender Position und manchmal auch als Einzelgängerin.
Und natürlich wirkten Frauen auch als Multiplikatorinnen und in der Wissenschaftskommunikation: Frauen haben bereits im 19. Jahrhundert Vorträge in Fachgesellschaften gehalten, sie haben populäre Bücher und Artikel publiziert, Besuchsgruppen durch Museen und Sammlungen sowie über Ausgrabungen geführt. Etwas später haben Frauen an Universitäten unterrichtet und neue Generationen von Archäolog*innen ausgebildet.
Nicht vergessen werden sollten auch die Lehrerinnen, die gerade im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle für die Wissenspopularisierung spielten. Das zog aber nicht immer Effekte nach sich, die wir heute noch positiv bewerten, im Gegenteil. Gerade an der Vermittlung der germanophilen, rassistischen Vorgeschichtserzählung im Sinne Gustav Kossinnas, Hans Reinerths und ganz generell der nationalsozialistischen Vorgeschichte, waren Frauen maßgeblich beteiligt: Waldtraut Bohm veröffentlichte historische Karten und Überblicke für den Schulunterricht und Gisela Merschberger hielt unter anderem politische Vorträge über die Geschichte der 'germanischen Frau'. Annemarie von Auerswald, die durchaus namhafte Museumsleiterin in der Prignitz, fabrizierte Romane wie „Die ewige Ordnung: Germanenleben in der Bronzezeit", in denen sie ihre germanomanen und rassistischen Konstruktionen verbreitete. Es ist uns wichtig offenzulegen, dass eine Strategie der Sichtbarmachung von Frauen eben auch auf deren Verfehlungen und Vergehen, auf ihre Fehler und auf ihr Scheitern eingehen muss.
Wo sehen Sie weiteren Forschungsbedarf und was sind Ihrer Meinung nach wichtige Schritte, um Archäologinnen aus der Unsichtbarkeit zu holen?
Wir werden bald ein recht gutes Bild über die Lebens- und Schaffenswege sehr vieler Frauen haben. Diese Informationen gilt es dann unter wissenschaftshistorischer Perspektive miteinander in Bezug zu setzen und unter übergeordneten Fragestellungen auszuwerten. Der nächste Schritt der historisch-biografischen Wissenschaftsforschung wäre eine Kollektivbiografie über Frauen in den Archäologien, die auf den von uns erhobenen Daten aufbaut und u.a. das biografische Instrument Propylaeum Vitae, das wir laufend mit Ergebnissen füttern, für die Analyse nutzt.
Unterdessen bedarf es neuer Wege, um die Forschungserkenntnisse stärker in jenen Bereich der Öffentlichkeit zu tragen, den wir bisher nur zum Teil erreicht haben: Studierende. Um möglichst viele Kolleg*innen zu ermutigen, Lehrveranstaltungen zum Thema 'Frauen in der Archäologie' anzubieten, wäre es wichtig, ihnen frei zugängliche Handreichungen, Texte, Quellen und Arbeitsblätter zur Verfügung zu stellen. Einen ersten Schritt dorthin machen wir mit den Beiträgen in unserem Blog. Wir stellen nicht nur einzelne Frauen dort relativ ausführlich vor, sondern veröffentlichen auch kommentierte Auszüge aus Quellen. Leider macht es uns die Gesetzeslage schwer, Material aus Archiven direkt und in Gänze digital zu publizieren. Schön wäre es, Lehrinhalte in Form von Open Educational Resources anbieten zu können.
Heutzutage ist das Geschlechterverhältnis im Studium der Archäologie ziemlich ausgeglichen. Gibt es Ihrer Meinung nach trotzdem geschlechtsspezifische Hürden, die Frauen den Einstieg ins Berufsleben erschweren?
Im Bereich der Ur- und Frühgeschichte überschreitet sogar die Anzahl der weiblichen Studienanfängerinnen seit Jahren regelmäßig die 50%-Marke und auch in der Promotionsphase sind die Verhältnisse noch relativ ausgeglichen. Dennoch entscheiden sich etwas weniger Frauen als Männer zur Promotion und nach der Promotion verlassen weitere Frauen die akademische Laufbahn. Der Anteil an Professorinnen steigt zwar in allen archäologischen Fächern seit einigen Jahren merklich an, in einigen aber deutlich schneller als in anderen. Derzeit beträgt der Frauenanteil über alle diese Fächer hinweg, aber ohne Zählung der Juniorprofessuren, ca. 34%. Ähnliche Zahlenverhältnisse gibt es bei den Führungsposten in der Bodendenkmalpflege und in den öffentlichen Museen.
Ein Grund für den relativ geringen Frauenanteil unter Post-docs, PDs und Professorinnen ist die gedankliche Gleichsetzung der Archäologie mit der Ausgrabung in der öffentlichen, aber auch zu einem großen Teil in der fachinternen Wahrnehmung. Obwohl archäologische Arbeit viel mehr umfasst als Feldforschung und Ausgrabung, ist das Studium stark feldarchäologisch ausgerichtet. Gerade junge Frauen, die über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nachdenken, schreckt die Feldarchäologie eher ab als junge Männer. Frauen verlassen die Archäologie deshalb lieber nach oder sogar schon vor einer Promotion. Zudem werden fehlende Rollenmodelle immer wieder als Grund für den niedrigen Frauenanteil in den Leitungspositionen der Archäologien angesehen.