70:20 – das soll sich ändern!
In der Wikipedia sind über alle Sprachversionen hinweg rund 70 Prozent der Biografien von Männern. Nur rund 20 Prozent der Wikipedia-Biografien portraitieren hingegen Frauen. Weitere 10 Prozent lassen sich nicht zuordnen. Das Projekt „Hack the Wiki Gap – Innovative Frauen sichtbar machen!“ der Wissenschaftskommunikationsagentur Torten & Trompeten gGmbH will das ändern.
Frau Meier, wie erklären Sie sich, dass in der Wikipedia weitaus mehr Biografien über Männer als über Frauen zu finden sind?
Ein zentraler Grund ist: Die Wikipedia spiegelt schlichtweg die gesellschaftlichen Verhältnisse wider. Enzyklopädien haben das Ziel, den Bestand an verfügbarem Wissen kurz und prägnant zusammenzufassen. Das gilt auch für die Wikipedia. Für die Inhalte der Wikipedia macht es daher einen großen Unterschied, welche Wissensbestände vorhanden sind – und zudem, wie leicht verfügbar diese sind und ob sie als Quellen innerhalb der Wikipedia anerkannt werden.
Hinzu kommt, dass Personen bestimmte Relevanzkriterien erfüllen müssen, damit ihre Biografie in der Wikipedia Bestand haben kann. Auch hier haben es Frauen – ebenso wie viele Minderheiten – vergleichsweise schwer, da sie beispielsweise weniger Professuren halten und weniger in der medialen Aufmerksamkeit stehen.
Ist das ein Phänomen, das es nur bei der Wikipedia gibt, oder ist es in klassischen Lexika auch so?
Ja, das ist in klassischen Lexika auch so. Auch früher gab es weniger und weniger leicht verfügbares, anerkanntes Wissensmaterial über Frauen, sodass sie weniger in Enzyklopädien rezipiert wurden. Der Rechercheaufwand, der hinter der Erarbeitung einer Frauenbiografie steckte und weiterhin steckt, ist oft höher als der für männliche Zeitgenossen.
Es gibt nicht nur wesentlich weniger Wikipedia-Biografien zu Frauen, sondern auch weniger Wikipedia-Autorinnen.
Ja, in der Tat sind Frauen auch in den Wikipedia-Communities stark unterrepräsentiert. Ein zentrales Prinzip der Wikipedia ist das des ehrenamtlichen Engagements. Das heißt, dass Personen, die sich in der Wikipedia einbringen, dies aus freien Stücken und ohne monetäre Gegenleistung in ihrer Freizeit tun sollen. Und genau das ist für viele Frauen eine große Herausforderung – sie haben oft deutlich weniger frei verfügbare Zeit als Männer, was ganz wesentlich auch mit der Ungleichverteilung der Care-Arbeit in Deutschland und daraus resultierender Zeitungerechtigkeit zusammenhängt.
Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass auch unter den Wikipedia-Autor*innen mehr Frauen sind?
Die Wikipedia ist eine der wichtigsten Online-Wissensressourcen unserer Welt. Je breiter und tiefer die Autor*innenschaft ist, desto vielfältiger werden auch die Inhalte der Wikipedia sein. Dazu gehören auch – aber nicht nur – Frauen.
Mit „Hack the Wiki Gap" wollen Sie das ändern. Wie machen Sie das konkret?
Mit unserem Projekt wollen wir einen Beitrag dazu leisten, den doppelten Gender Gap in der Wikipedia ein klein wenig zu schmälern. Zentral sind dafür unsere sechs inhaltlichen Hackathons, im Rahmen derer junge, wissenschaftsinteressierte Personen dabei unterstützt werden, zu Wikipedia-Autor*innen zu werden – und zwar, indem sie Biografien über Frauen aus verschiedenen Bereichen verfassen, die bislang in der Wikipedia fehlen. Wir bieten dabei ein sicheres, entspanntes Umfeld, Inputs und Unterstützung.
Wie läuft so ein Hackathon ab und was lerne ich als Teilnehmer*in dabei?
Unsere Hackathons laufen jeweils über ein Wochenende, von Freitagnachmittag bis Sonntagmittag. Sie beginnen in der Regel mit einem Auftaktinput einer Nachwuchswissenschaftlerin, die uns einen Einblick in Geschlechterungerechtigkeiten im jeweiligen Themenfeld – z.B. im Bereich Recht und Verwaltung – gibt.
In einem weiteren Input geben wir den Teilnehmenden Informationen über die Struktur und Funktionsweisen der Wikipedia an die Hand, damit sie ihr Tun und ihre Rolle innerhalb des Wikiversums einordnen können. Dann geht es an die Arbeit!
Bei Bedarf werden Nutzer*innenkonten erstellt, die Teilnehmenden vernetzen sich online untereinander und lernen, wie neue biografische Artikel angelegt werden können und worauf beim Schreiben zu achten ist. In einer ausgedehnten Phase haben die Teilnehmenden Gelegenheit, über die Frau, der sie sich widmen, zu recherchieren und einen Artikelentwurf zu erarbeiten. Dieser kann, aber muss nicht innerhalb des Wochenendes fertig werden: Uns ist die Qualität des Lernprozesses und der geschaffenen Inhalte wichtiger als die Quantität bzw. die Geschwindigkeit.
Während der Schreibphase stehen wir den Teilnehmenden gemeinsam mit externen Mentorinnen mit Rat und Tat zur Seite, zudem tauschen sie sich gegenseitig aus. Zum Ende der Hackathons gibt es dann Informationen über Vernetzungs- und Unterstützungsmöglichkeiten innerhalb der Wikipedia-Community sowie die Möglichkeit, einen kurzen Social-Media-Beitrag über die Frau zu entwerfen, der man sich gewidmet hat. Die Teilnehmenden lernen also einiges über die Situation von Frauen in dem jeweiligen Themenfeld sowie ganz konkret wie sie Wikipediaartikel – insbesondere Biografien – verfassen und sich auch sonst in der Wikipedia einbringen und Unterstützung finden können.
Das heißt, mit dem Wissen aus den Hackathons bin ich gerüstet, um im Anschluss geeignete Texte für die Wikipedia zu verfassen?
Auch nach einem Hackathon gibt es natürlich viel zu lernen – wir fokussieren beispielsweise auf Biografien, aber es gibt noch viele weitere Arten von Enzyklopädieeinträgen, ebenso können wir nicht alle technischen Kniffe üben. Aber die Teilnehmenden haben danach gute Startvoraussetzungen, um sich weiter engagieren zu können und somit ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in die Wikipedia einzubringen: Sie verfügen über Konten, kennen die Funktionsweise der Wikipedia etwas besser, haben das enzyklopädische Schreiben sowie die technischen Eigenheiten der Wikipedia ein wenig üben können und wissen, wo sie Informationen und Hilfe finden können.
Wie ist die Zusammensetzung der Gruppen bei den Hackathons bisher gewesen (z.B. Altersstruktur)?
Die Hackathons sind ausgerichtet auf Personen zwischen 18-40 Jahren – und innerhalb dieser Altersspanne waren die Teilnehmenden bisher breit gefächert. Wir hatten Studierende ebenso dabei wie Wissenschafter:innen vor und nach der Promotion. Die große Mehrheit der Teilnehmenden war bisher weiblich, aber wir freuen uns sehr, dass auch männliche und nicht-binäre Teilnehmende teilgenommen haben.
Wie machen Sie die Teilnehmende auf die Hackathons aufmerksam?
Zentral für unsere Informationsarbeit sind zum einen unsere beiden Social-Media-Kanäle bei Instagram – tortentrompeten und wikigap.de – sowie das gezielte Ansprechen von Personen und Institutionen aus dem jeweiligen Themengebiet und der jeweiligen Region. Das Metavorhaben meta-IFiF, mehrere in der Förderrichtlinie „Innovative Frauen im Fokus“ geförderte Projekte sowie das BMBF unterstützen uns gerade auch im Bereich der Social-Media-Kommunikation sehr, indem sie über ihre Kanäle, etwa bei Twitter oder LinkedIn, auf die Hackathons aufmerksam machen. Zusätzlich nutzen wir ganz klassisch Flyer – und natürlich spielt die Mund-Zu-Mund-Propaganda der bisherigen Teilnehmenden auch eine bedeutende Rolle.
Haben Sie Beispiele für Frauenbiografien, die im Rahmen der Hackathons schon in der Wikipedia ergänzt werden konnten?
Ja! Im Rahmen des Hackathons in Frankfurt am Main, der Frauen aus dem Bereich Recht und Verwaltung gewidmet war, sind zum Beispiel zwei tolle Biographien von Juristinnen entstanden: Cara Röhner und Sina Fontana. Kurz nachdem die beiden Biografien in die Wikipedia eingestellt wurden, zeigte sich auch das großartige Potenzial, welches in der Wikipedia und im kollektiven Schreiben steckt: Andere Nutzer*innen passten Formatierungen an, ergänzten Links und verfeinerten die Zuordnungen zu Kategorien.
Was sind für Sie persönlich bislang die größten Erkenntnisse?
Das Verfassen guter Wikipediaartikel braucht Zeit! Das eigentliche Schreiben ist nur ein Teil der Arbeit. Es gilt, geeignete Quellen zu recherchieren und zu verarbeiten, die Informationen prägnant und allgemeinverständlich zusammenzufassen, Links und – ganz wichtig! – Belege einzufügen, ebenso Normdaten und möglichst auch Bilder.
Wenn wir also wollen, dass mehr Erkenntnisse aus der Forschung in die Wikipedia gelangen, dann heißt das auch, dass im Wissenschaftskontext Zeit und Ressourcen für die Wikipediaarbeit geschaffen werden müssen. Ein guter Enzyklopädieartikel schreibt sich nicht mal so eben nebenher. Hier braucht es also eine Anpassung struktureller Rahmenbedingungen, auch in der Projektförderung.
Was passiert nach Abschluss des Projekts mit dem Hackathon-Format? Der Bedarf an solchen Workshops ist sicherlich groß und wäre für Hochschulen und generell im Bereich der Wissenschaftskommunikation eine große Bereicherung.
Die Hackathons haben für uns Modellcharakter – wir verfeinern das Format fortlaufend mit dem Ziel, es zum Ende des Projekts als Open Educational Resource (freie Bildungsmaterialien) leicht zugänglich aufzubereiten, sodass andere Akteur*innen aus Wissenschaft und Forschung unkompliziert selbst ähnliche Hackathons durchführen können. Zudem werden wir zwei Webinare für interessierte Nachwuchswissenschaftler*innen erarbeiten: Eines zum Thema „Wikipedianerin werden“ und eins zum Thema „Wikipedianerinnen unterstützen“.
Erzählen Sie uns bitte etwas über die Torten und Trompeten gGmbH und wie das Hack-the-Wiki-Projekt in deren Aktivitäten einzuordnen ist.
Wir sind eine kleine, gemeinnützige Wissenskommunikationsorganisation, die Wissenschaftler*innen, Hochschulen und Fakultäten und auch andere gemeinnützige Organisationen in ihrer Arbeit rund um Wissenschaftskommunikation unterstützt. Das Projekt „Hack the Wiki Gap“ haben wir auf Basis unserer Vorerfahrungen in den Welten der Wissenschaft und der Wikipedia als unseren kleinen Beitrag zur Umsetzung der Förderrichtlinie “Innovative Frauen im Fokus” entwickelt.