Projekt im Fokus: Diversity-X
Wissenschaft sollte die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegeln, aber in vielen Fächern sind Frauen – trotz eines hohen Anteils weiblicher Studierender – bei den Professuren unterrepräsentiert und werden seltener zitiert. Das IFiF-Projekt Diversity-X hat sich mit dieser Thematik im Fachbereich Kommunikationswissenschaft beschäftigt und ein Tool entwickelt, mit dem die Gender-Diversität, nationale Diversität und Aktualität von Zitationen gemessen werden kann. Wir haben mit Dr. Maike Braun dazu gesprochen.
Diversität in der Wissenschaft – warum ist das so wichtig?
Wenn in einem Forschungsfeld nur eine bestimmte Gruppe von Personen forscht und zitiert wird, spiegeln die Ergebnisse häufig deren Interessen und Sichtweisen wider. Eine vielfältige Gruppe von Forschenden hingegen bringt unterschiedliche Perspektiven ein, die für exzellente Forschung essenziell sind. Wenn also viele verschiedene Stimmen in Publikationen und Zitationen Gehör finden, so trägt dies dazu bei, die unterschiedlichen Perspektiven in die Forschung und in die Gesellschaft zu tragen.
Sie haben die Geschlechter-Diversität im Fach Kommunikationswissenschaft in unterschiedlichen Bereichen untersucht. Welche Bereiche sind das genau und was haben Sie herausgefunden?
Im Projekt Diversity-X betrachteten wir den gesamten Forschungsprozess, vor allen Dingen die Kommunikation von wissenschaftlichen Befunden: auf Konferenzen, in Publikationen und auf Social Media. Unser wichtigster Befund ist, dass es keinen Mangel an Kommunikationswissenschaftlerinnen gibt, dass diese in gleichem Maße wie ihre männlichen Kollegen auf Konferenzen und Social Media vertreten sind und ähnlich viel publizieren.
Unterschiede zwischen den Geschlechtern finden wir jedoch, wenn es um die Wahrnehmung geht: So werden Forscher häufiger zitiert als Forscherinnen. Wissenschaftler haben mehr Follower auf Social Media als Wissenschaftlerinnen. Forscher erhalten mehr Preise für ihre Forschung, obwohl Forscherinnen gleichwertig publizieren.
Auf Grundlage Ihrer Forschung haben Sie Lösungsansätze erarbeitet. Welche Faktoren sind besonders wichtig, um mehr Diversität zu erreichen?
Wir müssen besser darin werden, die bestehenden Leistungen von Frauen wahrzunehmen und weiterzuverbreiten. Ein wichtiger Schritt ist es, den Frauenanteil in den verschiedenen Bereichen der Wissenschaft zu überwachen und öffentlich zu kommunizieren, beispielsweise in Fachgesellschaften, unter den Autorinnen eines Journals, bei Preisverleihungen und in der Forschungsförderung.
Zudem sollten Wissenschaftler*innen bei der Auswahl ihrer Zitationen sicherstellen, dass sie die gesamte relevante Literatur berücksichtigen. Das halten wir derzeit nicht für gegeben, denn während über 50 % der publizierten Arbeiten weibliche Autor*innen haben, ist dies nur bei 30 % der zitierten Arbeiten der Fall. Frauen werden „unter“zitiert und Männer werden „über“zitiert. Hier kommt das Tool Diversity-X ins Spiel.
Wie kann sichergestellt werden, dass die Ergebnisse und Empfehlungen von Diversity-X nachhaltig in der Praxis verankert werden?
Um die Ergebnisse des Projekts nachhaltig in der Praxis zu verankern, arbeiten wir eng mit den Fachgesellschaften in der Kommunikationswissenschaft im DACH-Raum zusammen. Gemeinsam mit Mitgliedern des von uns gegründeten Arbeitskreises Publikationsdiversität in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) haben wir ein Manuskript geschrieben, das derzeit in Begutachtung ist.
Hier geben wir einen Überblick über den aktuellen Stand der Geschlechterdiversität im Fach und zeigen konkrete Maßnahmen zur Verbesserung auf. Die Präsentationen unseres Projekts und des Tools "Diversity-X" auf den Konferenzen unseres Faches hilft uns, ein breites Publikum innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu erreichen.
Besonders spannend: Sie haben ein Tool entwickelt, mit dem eine Analyse der Geschlechter- und Nationaldiversität in Zitierungen möglich ist.
Wie funktioniert das Tool und welche Informationen werden ausgegeben?
Diversity-X ist ein Tool, dass es Wissenschaftler*innen leicht machen soll, die Diversität ihrer Zitationen zu überprüfen. Nutzerinnen laden ein PDF-Dokument auf Diversity-X hoch. Das kann beispielsweise ihr eigener oder ein anderer Artikel sein, der in einer Fachzeitschrift erschienen ist oder erscheinen soll. Unser Tool "Diversity-X" liest das Literaturverzeichnis aus, prüft also die Referenzen und Zitationen. Dann liefert Diversity-X Informationen über den Anteil der im Literaturverzeichnis zitierten Männer und Frauen, über die Zusammensetzung der Forschungsteams, die häufigsten Herkunftsländer der zitierten Personen sowie die Aktualität der Zitationen.
Das Tool arbeitet, indem es das Dokument nach einem speziellen Identifikationscode, dem DOI (Digital Object Identifier), durchsucht und dann über die Datenbank OpenAlex, die vollständige Autor*innenliste und deren nationale Zugehörigkeiten für die gefundenen Zitationen abruft. Die Namen werden dann mit einer umfangreichen Datenbank abgeglichen, die eine Geschlechterklassifikation ermöglicht. Diese Datenbank enthält knapp 60.000 Namen und deren geschlechtliche Zuordnung.
Das Tool "Diversity-X" hat Potenzial für den Einsatz auch außerhalb der Kommunikationswissenschaft.
Haben Sie Pläne zur Verbreitung in anderen Fachdisziplinen?
Aufgrund der verbreiteten Anwendung von DOIs und des Zitationsstils der American Psychological Association (APA) sehen wir auch über die Kommunikationswissenschaft hinaus großes Potenzial für Diversity-X. Ein Feld, das hierfür nahe liegt, ist die Psychologie. In der Tat stoßen wir hier auf großes Interesse und haben das Tool bereits auf mehreren psychologischen Tagungen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) präsentiert. Auch auf einer interdisziplinären Konferenz zu Geschlechterdiversität fand Diversity-X großen Anklang.
Dank der interdisziplinären Vernetzung durch das Metavorhaben "Innovative Frauen im Fokus" treiben wir eine interdisziplinäre Anwendung des Tools voran.