Gender Award Gap: (Un)Sichtbarkeit von Frauen in der Medizin

Jedes Jahr werden Anfang Oktober die Preisträger*innen der Nobelpreise in Medizin/Physiologie, Physik, Wirtschaftswissenschaften und Frieden bekannt gegeben. Anlässlich der diesjährigen Bekanntgabe sprachen wir mit PD Dr. Nils Hansson, Projektleiter des IFiF-Projekts "Gender Award Gap" darüber, ob Preise und Auszeichnungen in der medizinischen Forschung, Physik oder Chemie nach wie vor unterdurchschnittlich häufig an Frauen vergeben werden, warum das möglicherweise so ist und was dagegen unternommen werden kann.

PD Dr. Nils Hansson spricht auf der BMBF-Veranstaltung "Sag mir, wo die Frauen sind" am 8. März 2023 mit Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger. © BMBF/Hans-Joachim Rickel

Herr Hansson, in Ihrem Projekt gehen Sie der Frage nach, ob wissenschaftliche Preise in der Medizin unterdurchschnittlich häufig an Frauen vergeben werden. Was haben Sie dazu herausgefunden? 

Wir wussten bisher relativ wenig über den Gender Award Gap jenseits der großen wissenschaftlichen Auszeichnungen wie dem Nobelpreis. Anknüpfend an entsprechende Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum untersuchen wir, inwieweit dieses Phänomen auch innerhalb der deutschen medizinischen Fachgesellschaften anzutreffen ist. Medizinische Fachgesellschaften haben in den letzten 20 Jahren etwa 1.500 verschiedene Preise vergeben, die meisten davon jährlich. Wir differenzieren zwischen Ehrenpreisen, etwa für ein Lebenswerk, und Forschungspreisen, die konkret eine spezifische Forschungsleistung auszeichnen. Für erstere müssen die Preisträger*innen von Fachkolleg*innen vorgeschlagen werden, auf letztere müssen sich Forscher*innen aktiv bewerben. Ebenfalls unterschieden werden muss zwischen sogenannten Nachwuchspreisen, die an das Alter und/oder die akademische Karrierestufe gebunden sind. Unsere Auswertung ist noch nicht abgeschlossen, wird aber ein komplexes Bild ergeben.

Drei Aspekte kann ich schon jetzt festhalten:

Erstens, und das ist die gute Nachricht: Der Gender Award Gap schließt sich seit den letzten fünf Jahren im Durchschnitt in allen genannten Bereichen kontinuierlich! Bei den Dissertationspreisen sind Forscherinnen nicht selten sogar überrepräsentiert. Dies korreliert mit den im Durchschnitt besseren Promotionsleistungen von Frauen in der Medizin.

Zweitens, und das ist die schlechte Nachricht: Das Ausmaß des Gender Award Gap ist in den medizinischen Fächern sehr unterschiedlich. In einigen Fachgesellschaften wurden die wichtigen Auszeichnungen bis heute nur selten oder gar nicht an Forscherinnen vergeben, obwohl in fast allen Fachbereichen die Zahl der Fachärztinnen rasant steigt. Hier gilt es traditionelle Verhaltensmuster aufzubrechen.

Drittens, starre Grenzen zum Höchstalter, die Frauen in der Phase der Familienplanung tendenziell viel stärker benachteiligen als ihre männlichen Kollegen, werden zunehmend durch die Anerkennung von Erziehungszeiten aufgeweicht.

Mittlerweile studieren mehr Frauen als Männer Medizin. Auf den höheren Karrierestufen sind immer noch deutlich mehr Männer vertreten. Hat das auch etwas mit dem Gender Award Gap zu tun? 

Das ist die berühmte Frage nach Henne und Ei. Das Phänomen der von Ihnen angesprochenen „Leaky Pipeline“ ist bei Karrieren wie Preisvergaben gleichermaßen zu beobachten. Es ist aber tendenziell wahrscheinlich, dass besonders renommierte Preise vor allem an jene Forscher*innen vergeben werden, die in der scientific community besonders sichtbar sind und da sind herausgehobene akademische Positionen sicherlich hilfreich, wenn nicht sogar zwingend notwendig. 

Sind Sie optimistisch, dass sich an der Preisvergabe in den nächsten Jahren etwas ändert, wenn mehr Ärztinnen nachrücken?

Unsere skizzierten Ergebnisse machen mich optimistisch, wichtig ist aber, dass die Karrierechancen in allen medizinischen Fächern geschlechtergerecht gestaltet werden. Aktuell sehen wir diesen Trend vor allem in den nicht-klinischen Fächern. 

Preise sind oftmals nach – zumeist männlichen – Personen benannt. Gehört zu einem männlichen Preisnamen ein männlicher Preisträger? 

Das ist eine sehr spannende Frage, die ich leider nicht abschließend beantworten kann, da diese Daten noch nicht vollständig ausgewertet sind. Festzuhalten ist, dass nur ganz wenige Preise nach Forscherinnen benannt sind – weniger als 20. Die Sichtbarkeit von Frauen könnte hier sehr leicht erhöht werden. 

PD Dr. Nils Hansson präsentiert das IFiF-Projektposter im Rahmen des Weltfrauentages "Sag mir, wo die Frauen sind" am 8. März 2023. © BMBF/Hans-Joachim Rickel

In Ihrem Projekt geht es auch um die Ausarbeitung von Strategien, mit denen der Gender Award Gap überwunden werden kann. Was sind diesbezüglich die wichtigsten Erkenntnisse?  

Wie schon erwähnt, zeigt in vielen Fachgesellschaften ein entsprechendes Bewusstsein Wirkung. Wo dies noch nicht der Fall ist, sind drei Strategien unseres Erachtens besonders vielversprechend:

Abschaffung von Altershöchstgrenzen:
Altershöchstgrenzen bei Preisen benachteiligen insbesondere Frauen, die aufgrund von Familienzeiten ihre Karriere unterbrechen oder einen langsameren beruflichen Aufstieg haben. Vielfach erbringen sie danach herausragende Leistungen. Die Abschaffung von Altershöchstgrenzen für Auszeichnungen würde es Forscherinnen ermöglichen, sich unabhängig von ihrem Alter für Preise und Auszeichnungen zu bewerben. 

Ermutigung von Forscherinnen zur Bewerbung auf Preise („Extra- Scouting“):
Die Ermutigung potenzieller Kandidatinnen, sich um Preise und Auszeichnungen zu bewerben, insbesondere durch Vorgesetzte, kann dazu beitragen, dass mehr Frauen von ihren Leistungen überzeugt sind und sich um Preise bewerben.

Einbeziehung von mehr Forscherinnen in die Preisgremien:
Eine diversere Zusammensetzung der Gremien würde sicherstellen, dass verschiedene Perspektiven und Erfahrungen berücksichtigt werden. Dies kann dazu beitragen, die Chancengerechtigkeit bei der Vergabe von Preisen und Auszeichnungen zu verbessern und sicherzustellen, dass herausragende Leistungen – unabhängig vom Geschlecht – angemessen gewürdigt werden.

Wie verbreiten Sie die im Forschungsprojekt gewonnenen Erkenntnisse? Planen Sie weitere Schritte, um die Ergebnisse in die Öffentlichkeit zu tragen? 

Einige unserer Ergebnisse wurden bereits in Fachzeitschriften publiziert (Lancet Rheumatology), weitere Beiträge zu Fallstudien sind in Vorbereitung (demnächst erscheint eine Publikation über den Gender Award Gap in der Pathologie). Selbst habe ich einen Vortrag über den Gender Award Gap vor dem Stockholmer Nobelkomitee gehalten. Zusammen mit zahlreichen Arbeitsgemeinschaften zur Gleichstellung in den einzelnen Fachgesellschaften schaffen wir, wenn nötig, ein entsprechendes Bewusstsein. Auch im Bereich von Mentoring-Programmen weisen wir in speziellen Vorträgen auf die wichtige Rolle von Mentor*innen hin. Darüber hinaus haben wir im Team mehrere Interviews zum Thema für Zeitungen und Radio gegeben, darunter für The New York Times, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Dagens Nyheter, SWR 2 und WDR.  

Alle Neuigkeiten aus dem Projekt finden Sie auch bei Twitter: @genderawardgap. Zum Beispiel zum populärwissenschaftlichen Buch von Dr. Nils Hansson: „Wie man keinen Nobelpreis gewinnt - Die verkannten Genies der Medizingeschichte“ (Gräfe & Unzer) – mit einem Kapitel über den Gender Award Gap.