heiCHANGE
Das IFiF-Projekt "heiCHANGE – Sichtbarkeit durch strukturellen Wandel" untersucht, wie sich die Bedingungen für Sichtbarkeit in der Wissenschaft verändern lassen. Denn bislang wird wissenschaftliche Sichtbarkeit oft über Strukturen hergestellt, die männlich geprägt sind, beispielsweise Selbstvermarktung und Wettbewerbsorientierung. Im Interview sprechen die Projektleiterinnen über ihre Forschungsergebnisse und erläutern, welche strukturellen Veränderungen notwendig sind, um faire Anerkennungs- und Sichtbarkeitsbedingungen zu schaffen.
In Ihrem Forschungsprojekt heiCHANGE untersuchen Sie die Funktionsmechanismen von wissenschaftlicher "Sichtbarkeit". Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Unser wissenschaftliches Vorgehen beruht auf zwei zentralen Säulen: Einer Umfrage unter Wissenschaftler*innen und einem Online-Experiment, bei dem ebenfalls Wissenschaftler*innen teilgenommen haben. Den Fragebogen haben wir deutschlandweit über Gleichstellungsbüros, Graduiertenakademien und Fachgesellschaften verteilt, um unsere Zielgruppe möglichst breit zu erreichen. Er enthielt neben demografischen Informationen Fragen zur Zeitnutzung im Wissenschaftsbetrieb, da Studien finden, dass Wissenschaftlerinnen häufiger nicht-karriereförderliche Aufgaben übernehmen als ihre männlichen Kollegen.
Außerdem haben wir Maße zum Networkingverhalten, zum wissenschaftlichen Output der Teilnehmer*innen und zum psychologischen Wohlbefinden der Wissenschaftler*innen erhoben. Damit wollen wir feststellen, ob unsere Hypothesen zum Zusammenhang von Tätigkeiten im Wissenschaftsbetrieb, Sichtbarkeit der Tätigkeiten, und psychischem Wohlbefinden zutreffen.
Als zweiten, zentralen Faktor haben wir die Wissenschaftler*innen zu einem Online-Experiment eingeladen, welches die Status-Wettbewerbsumgebung am akademischen Arbeitsmarkt widerspiegelt. Experimentalökonomische Evidenz zeigt, dass Frauen dazu neigen hochkompetitive Situationen zu meiden, besonders wenn der Wettbewerb auf einen statusorientierten Leistungsvergleich abzielt. In einer "abstrakten" Umgebung haben wir daher untersucht, ob und wie sich solche Strukturen auf das Verhalten und die Entscheidungen von Wissenschaftler*innen auswirken und welche Geschlechtsunterschiede feststellbar sind.
Wichtig war hierbei auch, möglichst alle Karrierestufen abzubilden, denn es ist zu erwarten, dass diejenigen, die den Kontext als besonders belastend empfinden, möglicherweise der Wissenschaft nach der Dissertation den Rücken kehren – unabhängig von ihren fachlichen Fähigkeiten1.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer Forschung?
Zum Zeitnutzungsfaktor finden wir, dass Wissenschaftler*innen in frühen Karrierephasen (Doktorandinnen und Postdocs) weniger Zeit in karriereförderliche Aufgaben investieren, als es männliche Doktoranden und Postdocs tun – aber auch nicht mehr Zeit in andere Aufgaben im Wissenschaftsbereich. Eher scheinen sie sich breiter aufzustellen, weniger klar nur für die Wissenschaft zu leben.
Erreichen Wissenschaftlerinnen eine Professur, dann übernehmen sie einen deutlich höheren Anteil an nicht karriereförderlichen Aufgaben als die männlichen Professoren in unserem Sample. Die männlichen Doktoranden und die weiblichen Professorinnen geben dabei an, dass sich psychische Beschwerden negativ auf ihre Arbeit, ihr häusliches Umfeld und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen ausgewirkt haben. Die Ergebnisse sind noch vorläufig, allerdings zeigt sich die Tendenz, dass in beiden Bereichen – zentrale wissenschaftliche Aufgaben und Lehre/Wissenschaftsmanagement – ein hoher Arbeitsdruck die psychische Gesundheit negativ beeinflusst.
Der Experimentalteil von heiCHANGE zeigt, dass Wissenschaftlerinnen bei gleicher Leistung den statusorientierten Wettbewerb im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen meiden. Wir sehen außerdem, dass das Geschlecht der Person, die den Leistungsvergleich mitgeteilt bekommt, eine Rolle spielt. Weibliche wie männliche Wissenschaftler*innen strengen sich deutlich mehr an, wenn die beurteilende Person dem jeweils anderen Geschlecht angehört, aber sie entscheiden sich dann häufig trotzdem gegen den Wettbewerb. Wir denken, dass dieses Verhalten bedeutsame Implikationen für die Debatte um Role-Models in der Wissenschaft hat.
Ganz konkret gefragt: Müssen sich Frauen in der Wissenschaft auch heute noch an männliche Strukturen anpassen, um sichtbar zu sein?
Definitiv, wenn Frauen in frühen Karrierephasen weniger Zeit in Forschung investieren (können) und sie den statusorientierten Leistungswettbewerb eher ablehnen, wird der Verbleib in der Wissenschaft nach der Promotion unwahrscheinlicher. Für die Frauen, die eine Professur erreichen – was heute zum Glück deutlich mehr als noch vor 10 Jahren ist –, wird es schwieriger, mit den Männern mitzuhalten, da sie mehr Zeit in Gremien und Wissenschaftsmanagement investieren müssen (weil es von ihnen eher verlangt wird) und informelle Netzwerke häufig an traditionelle männliche Lebensentwürfe angepasst sind. Beide Faktoren machen eine wissenschaftliche Karriere in diesen Strukturen für Frauen vergleichbar unattraktiv.
Welche Ideen für strukturelle Veränderungen haben Sie in Ihrem Projekt erarbeitet, um Sichtbarkeit fairer zu gestalten? Wie könnten diese praktisch umgesetzt werden?
Ein Aspekt, den wir im Anwendungsteil des Projekts untersucht haben, war, den Teilnehmenden zu ermöglichen, sich auf einer Forschungsdatenbank der Universität Heidelberg mit einer breiteren Palette von Themen darzustellen. Allerdings hat das wenig Anklang gefunden, was sicher zum Teil an den oben genannten Selektionseffekten liegt – im Wesentlichen bleiben Personen in der Wissenschaft, die einen Umgang mit den Strukturen für sich gefunden haben oder die gut dazu passen – zum Teil auch daran, dass die "Spielregeln" für Erfolg schwer von einer Universität geändert werden können. Aktuell erarbeiten wir noch in verschiedenen Diskussions-Settings Ideen und tragen diese auch aus anderen Kontexten zusammen. Hier erwarten wir konkrete Ergebnisse gegen Anfang nächsten Jahres.
Wie tragen Sie Ihre Forschungsergebnisse in die Breite, um ein neues, inklusiveres Bild von Wissenschaft als Berufsfeld zu vermitteln?
Im Rahmen von klassischer Sichtbarmachung haben wir die Projektergebnisse bereits auf internationalen Fachkonferenzen eingereicht und präsentiert. Darüber hinaus ist ein spannendes Workshop-Format zur Zeitnutzung in Academia mit den Zia-Fellows von der ZEIT entstanden, sowie die wiederkehrenden Talks "Lunch and Learn" an der Universität Heidelberg mit Nachwuchswissenschaftler*innen und eingeladenen (inter)nationalen Role-Models.
Außerdem wollen wir Lebensläufe von Wissenschaftler*innen, die auch auf nicht-traditionelle Weise zur Wissenschaft beigetragen haben, dauerhaft sichtbar machen in der Universität und damit Role-Models für diversere Lebensentwürfe herausstellen.
Gibt es bereits Resonanz von Hochschulleitungen oder aus der Hochschulkommunikation auf Ihre Ergebnisse?
An der Universität Heidelberg kollaborieren wir mit dem Rektorats-Projekt "Führungskultur", um für die Inhalte aus heiCHANGE auf Leitungsebene im Kontext von leadership zu sensibilisieren. Geplant ist hierfür ein Inputworkshop im Dezember 2025, sowie Fokusgruppen mit den Dezernaten Forschung, Personal, und der Leitung der Forschungsdatenbank und weiteren zentralen Personen im Januar 2026.
Welche Wirkung wünschen Sie sich langfristig an der Universität Heidelberg und darüber hinaus?
Wir würden uns eine Sensibilisierung für das Thema wünschen, und daraus folgend dann auch stärkere Anerkennung unterschiedlicher Wege der Sichtbarkeitsmachung von verschiedenen Arten von "Leistung" in der Wissenschaft. In Nachbarländern (Niederlande, Schweiz) ist das schon viel länger ein Thema, und hier gibt es durchaus auch Ansätze, den Blick auf wissenschaftliche Leistung zu verbreitern.
Für unsere letzten Lunch & Learn Sessions laden wir daher auch Wissenschaftlerinnen aus der Schweiz und den Niederlanden ein, und im Frühjahr 2026 wird es auch außerhalb des Projekts weitere Veranstaltungen zu der Thematik geben, so dass hier nachhaltig eine Diskussion angeregt wird. Langfristig wünschen wir uns natürlich, dass sich Strukturen so ändern, dass vielfältige Lebensentwürfe in der Wissenschaft möglich sind und damit auch Sichtbarkeit für vielfältige Leistungen in der Wissenschaft entsteht – nicht nur an der Universität Heidelberg.
Auf dem YouTube-Kanal Univital Universität Heidelberg stellt Prof. Dr. Christiane Schwieren das IFiF-Projekt heiCHANGE vor. Hier geht es direkt zum Video.
Weiterführende Literatur:
Babcock, L., Recalde, M. P., Vesterlund, L. & Weingart, L. (2017). Gender Differences in Accepting and Receiving Requests for Tasks with Low Promotability. American Economic Review, 107 (3), 714–747.
Babcock, L., Recalde, M. P., & Vesterlund, L. (2017). Gender Differences in the Allocation of Low-Promotability Tasks: The Role of Backlash. American Economic Review: Papers & Proceedings, 107 (5), 131–135.
Brandts, J., Gerxhani, K., & Schram, A. (2020). Are there Gender Differences in Status-Ranking Aversion? Journal of Behavioral and Experimental Economics, 84, Artikel 101485.
Misra, J., Lundquist, J. H. und Templer, A. (2012). Gender, Work Time, and Care Responsibilities Among Faculty. Sociological Forum, 27 (2), 300-323.
Niederle, M. und Vesterlund, L. (2007). Do Women Shy Away From Competition? Do Men Compete Too Much? Quarterly Journal of Economics, 122(3), 1067-1101.
Schram, A., Brandts, J., & Gerxhani, K. (2019). Social-Status Ranking: A Hidden Channel to Gender Inequality under Competition. Experimental Economics, 22(2), 396–418.