SiGi – Sichtbarkeit innovativer Gründerinnen
Im Interview geben die Projektleiterinnen, Prof. Dr. Veronika Kneip und Dr. Melanie Slavici, Einblicke in aktuelle Zahlen und Forschungsergebnisse sowie Sichtbarkeitsstrategien von Gründerinnen. Außerdem sprechen sie über geschlechtsspezifische Hürden im Startup-Kontext, die Rolle der Medien und praktische Unterstützungsmöglichkeiten durch Workshops und "male allies".
Sie forschen zu (Female) Entrepreneurship und zur Sichtbarkeit innovativer Gründerinnen. Wie sieht aktuell die Datenlage aus? Wie viele Frauen gründen ein Unternehmen – insbesondere im Startup Bereich?
Frauen gründen nach wie vor seltener als Männer, wobei es große Unterschiede zwischen Existenzgründungen und Startup-Gründungen gibt. Bei Existenzgründungen insgesamt, wozu zum Beispiel auch Solo-Selbständigkeiten zählen, sind Frauen mit zuletzt 44 Prozent (2023) eher geringfügig unterrepräsentiert (KfW Gründungsmonitor 2024, S. 3). Wir schauen uns allerdings technologie- und wachstumsorientierte Startup-Gründungen an, und hier sieht die Lage nochmal ganz anders aus.
Der Frauenanteil beträgt lediglich 18,8 Prozent (2024) und ist im Vergleich zu den Vorjahren sogar leicht rückläufig (Deutscher Startup Monitor 2024, S. 20). Zugleich möchten wir als Forscherinnen noch ergänzen, dass der Begriff "Startup" in Deutschland rechtlich nicht geschützt ist, sodass eine klare Trennung und damit auch statistische Erfassung von "Startup-Gründungen" nicht möglich ist – die besten Daten, die wir haben, sind Umfragen wie bspw. die vom Deutschen Startup-Verband.
Was haben Sie im Rahmen Ihrer Forschung herausgefunden? Welche Sichtbarkeitsstrategien haben sich als besonders wirksam erwiesen?
Zunächst hat es uns überrascht, dass geschlechtsspezifische "Sichtbarkeit" für Tech-Gründerinnen oft gar nicht so ein großes Thema ist – zumindest sehen viele Gründerinnen ihre Sichtbarkeit nicht primär an ihr biologisches Geschlecht gekoppelt. Wir haben in unseren Interviews ganz offen gefragt und erhielten zunächst viele geschlechtsunabhängige Sichtbarkeitsstrategien, bspw. beim Zugang zu Wagniskapital oder Kund*innen oder bezogen auf die jeweilige Phase, in der sich das Startup gerade befindet. Das lässt sich womöglich mit der beruflichen Sozialisation vieler Tech-Gründerinnen erklären, die sich bereits in einem MINT-Studium oder Beruf an männlich geprägte Strukturen gewöhnt haben. Beim weiteren Erzählen-Lassen haben wir aber doch auch deutliche geschlechtsspezifische Sichtbarkeiten identifizieren und darauf aufbauend drei Sichtbarkeits-Idealtypen an Gründerinnen entwickeln können:
- Die Feministin, die offensiv bestehende Ungleichgewichte und Diskriminierungen bspw. im Zugang zu Wagniskapital anprangert und sich etwa als Mentorin oder auf Panels explizit für die Belange von Gründerinnen positioniert.
- Die pragmatische Strategin, die spezifische Förderprogramme oder mediale Aufmerksamkeit für weibliche Gründerinnen zum eigenen unternehmerischen Vorankommen nutzt.
- Die sogenannte Gender-Neutrale, die keine oder kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Gründungskontext erkennt und spezifische Formate für Gründerinnen sogar als überflüssig oder kontraproduktiv zurückweist.
In der Realität sind diese drei Idealtypen allerdings nicht trennscharf, sondern Gründerinnen wechseln durchaus je nach Situation oder Gesprächspartner*in zwischen den Typen hin und her. So lässt sich auch nicht pauschal sagen, welche dieser Sichtbarkeitsstrategien am wirksamsten ist. Wie so oft entscheidet hier der individuelle Fall, auch in Abhängigkeit vom restlichen Gründungsteam oder den persönlichen Präferenzen und dem beruflichen sowie biografischen Hintergrund der Gründerin.
Warum ist unternehmerische Sichtbarkeit wichtig und mit welchen geschlechtsspezifischen Hürden sehen sich speziell Gründerinnen konfrontiert?
Das ist in der Tat eine wichtige Frage, die sich insbesondere viele Tech-Gründer und -Gründerinnen ohne einschlägige BWL- oder Marketing-Erfahrung stellen. Letztlich entscheidet der Umsatz und damit die Kund*innen, welche Produkte oder Dienstleistungen am Markt überleben können. Sind Startups nicht sichtbar, erreichen sie womöglich ihre Zielgruppen gar nicht – da kann die eigene Idee noch so innovativ sein. Gleiches gilt im Startup-Kontext für die Suche nach privaten Business Angels oder institutionellen Wagniskapitalgeber*innen. Geschlechtsspezifische Hürden sehen wir leider immer noch dort, wo sich Kund*innen und Investor*innen von geschlechtsspezifischen Stereotypen leiten lassen. Unsere interviewten Gründerinnen berichteten zum Beispiel von konservativen Branchen, in denen Frauen nach wie vor weniger technologisches Know-how „zugetraut“ wird und sie sich doppelt beweisen müssen. Oder von Gesprächen mit Investor*innen, in denen sie zu einer (möglichen) Familienplanung Stellung beziehen sollten. Das sind nun schon sehr explizite Fälle, aber zufällig geschieht geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung oft unbewusst, als sogenannter unconscious bias. Studien aus den USA zeigen zum Beispiel, dass Frauen in Finanzierungsgesprächen häufiger Fragen zu unternehmerischen Risiken gestellt werden, Männern hingegen zu unternehmerischen Chancen.
Welchen Einfluss haben die Medien auf die Sichtbarkeit innovativer Gründerinnen und wie sollte sich die Berichterstattung gegebenenfalls verbessern?
Eben haben wir schon über Kund*innen und Investor*innen gesprochen – für Startups die beiden wohl wichtigsten Zielgruppen. In beiden Fällen kann mediale Aufmerksamkeit den Zugang deutlich erleichtern, wobei "Sichtbarkeit" dabei als Mittel zum Zweck und nicht als Selbstzweck missverstanden werden sollte. Gründerinnen und Gründer befinden sich mit ihren Startups nämlich in der Regel in einer Phase mit wenig zeitlichen und finanziellen Ressourcen, sodass sie sich gut überlegen müssen, wofür sie ihre verfügbare Arbeitszeit nutzen.
Als Beispiel: Eine Robotics-Lösung für die Logistik ist vermutlich besser in ein paar branchenspezifischen Formaten platziert als in einem Medium für die breitere Öffentlichkeit. Wobei wir durchaus nachzeichnen konnten, dass sich oft eigendynamische „Sichtbarkeitsketten“ entwickeln. Eine Pressemitteilung der assoziierten Hochschule wird von einem Regionalmedium aufgegriffen, darauf wiederum wird ein überregionales wichtiges Medium aufmerksam … . Oft entscheidet da durchaus ein wenig der Zufall und das Timing. Mit guter Vorbereitung wie bspw. einem Pressekit oder schnellem Reagieren bei Presseanfragen können Gründer*innen diese Sichtbarkeitsketten aber anstoßen oder verstärken.
Wenn wir nun konkret über Gründerinnen sprechen, so ist es vielen Medien inzwischen durchaus ein Anliegen, ihre Berichterstattung divers zu gestalten. Die von uns befragten Medienvertreter*innen haben ausnahmslos betont, dass sie gerne noch mehr über Gründerinnen berichten möchten, es ihnen teilweise jedoch schwerfällt, geeignete Interviewpartnerinnen zu finden – beispielsweise, weil erfolgreiche Gründerinnen häufig sehr viele Anfragen erhalten oder Gründerinnen teilweise zurückhaltender sind ins Rampenlicht zu treten. Insofern können Gründerinnen durchaus selbst Einfluss auf ihre Sichtbarkeit nehmen. Ein Problem – und vielleicht auch ein Grund für die Zurückhaltung – ist jedoch die Gefahr der Hypervisibilität, also dass sich die Berichterstattung stärker auf die “Exotenrolle“ der Gründerin in einem männerdominierten Umfeld als auf ihr Startup und ihre Leistungen konzentriert. Dies wäre ein Bereich, auf den Medienvertreter*innen noch stärker achten könnten.
Nach wie vor investieren Kapitalgebende eher in männliche Gründerteams. Warum?
Die Tatsache, dass Kapitalgeber*innen – wie Venture-Capital-Firmen, Business Angels oder Banken – nach wie vor eher in männliche Gründungsteams investieren, hat mehrere Ursachen. Diese sind tief in gesellschaftlichen, strukturellen und psychologischen Dynamiken verwurzelt. Investor*innen neigen dazu, in Menschen zu investieren, die ihnen ähnlich sind – ein Phänomen namens Homophilie. Da die Mehrheit der Investor*innen männlich ist, bevorzugen sie unbewusst (oder bewusst) ebenfalls männliche Gründer. Hinzu kommt, dass Männer in etablierten Startup-Netzwerken oft besser vernetzt sind und Frauen seltener in "deal-flow"-Kreise aufgenommen werden, in denen Investitionsentscheidungen angebahnt werden. Schließlich spielen hier erneut die – unbewussten – stereotypen Vorstellungen davon, was erfolgreiches Gründen ausmacht, eine Rolle. Diese Vorstellungen sind historisch von männlich konnotierten Eigenschaften geprägt: Durchsetzungsfähigkeit, Risikobereitschaft, technische Kompetenz usw.
Aber auch auf der Nachfrageseite, also bei den Gründerinnen selbst, gibt es wichtige Faktoren, die dazu beitragen, dass weniger Wagniskapital fließt. Viele Gründerinnen legen größeren Wert auf Kontrolle über ihr Unternehmen und wollen Abhängigkeitsverhältnisse vermeiden, die mit Venture Capital (VC) einhergehen. Gründerinnen entscheiden sich daher oft bewusst für alternative Finanzierungsformen: Bootstrapping, Fördermittel, Crowdfunding oder Darlehen. Damit zusammen hängt, dass Gründerinnen nicht immer das klassische Einhorn-Wachstumsmodell anstreben, sondern auf stabile, langsamer wachsende Geschäftsmodelle setzen, was bei klassischen VC-Investor*innen oft als weniger attraktiv gilt.
Wie können Männer als Verbündete zur Förderung von Gründerinnen gewonnen werden und welchen Beitrag können gerade Männer hier leisten?
Hier gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte. Wir haben zum Beispiel gesehen, dass es für Gründerinnen in unserem Sample sehr wichtig war, schon früh im (Vor-)Gründungsprozess beispielsweise durch ihre Uni-Professoren unterstützt und aktiv zur Gründung ermutigt zu werden. Wichtig ist auch, dass sich Mitgründer für ihre Mitgründerinnen einsetzen – im Falle von offener Diskriminierung oder auch einfach, indem sie darauf achten, wer in welchen Situationen Bühne und Präsenz bekommt.
Viele männliche Gründer und Investoren sitzen an zentralen Knotenpunkten von Netzwerken. Sie können aktiv Gründerinnen fördern, indem sie Kontakte zu Kapitalgebern, potenziellen Kund*innen oder Partner*innen herstellen, Gründerinnen für Panels oder Medienauftritte vorschlagen – anstatt die Einladung selbst anzunehmen – und Diversität als Kriterium in ihrer Auswahl ernst nehmen: Wen lade ich ein? Wen fördere ich? Wessen Stimme teile ich?
Ein wichtiger Beitrag ist schließlich advocacy – also sich für Gründerinnen einsetzen, gerade wenn diese selbst nicht anwesend sind. Etwa im VC-Investmentkomitee: Für gemischte oder rein weibliche Teams Partei ergreifen, in Pitches oder Bewerbungsgesprächen auf gleiche Maßstäbe achten sowie sexistische oder stereotype Aussagen nicht tolerieren, sondern aktiv ansprechen.
Bei der Gewinnung der male allies ist es wichtig, klarzumachen, dass es nicht um Verlust von Macht geht, sondern um die Erweiterung von Möglichkeiten – wirtschaftlich, menschlich, strategisch. Wer sich heute für Gründerinnen einsetzt, investiert in eine gerechtere, klügere und erfolgreichere Wirtschaft – von der alle profitieren.
Damit Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Praxis umgesetzt werden können, haben Sie eine Reihe von Umsetzungsmaßnahmen entwickelt. Erzählen Sie uns bitte mehr darüber.
Für die Umsetzung von Sichtbarkeitsstrategien in der Praxis haben wir aus unseren Forschungsergebnissen die Erkenntnis abgeleitet, dass insbesondere eine bewusste Reflexion und strategische Nutzung der geschlechterunabhängigen bzw. potenziell geschlechterabhängigen Dimensionen von Sichtbarkeit wesentlich sind. In diesem Kontext geht es außerdem darum, das eigene Selbstbild als Gründerin mit dem von außen herangetragenen Fremdbild, bspw. in Form von Erwartungen von Investor*innen und Medienschaffenden, abzugleichen.
Im Rahmen unseres Transferprogramms SHINE haben wir diese Erkenntnisse in ein halbtätiges Workshop-Format überführt, um Gründerinnen dabei zu unterstützen, ihre Sichtbarkeit zu reflektieren und zu entscheiden, welche Formen der Sichtbarkeit in welcher Phase der Unternehmensgründung für sie machbar und sinnvoll sind. Ebenso reflektieren die Teilnehmerinnen, inwieweit sie sich in bestimmten Situationen in einem der drei geschlechterspezifischen Idealtypen wiedererkennen und beantworten dabei für sich selbst und im Austausch miteinander die folgenden Fragen:
- In welchen Situationen handelst du als Feministin, pragmatische Strategin oder Neutralitätsbetonerin?
- Wie fühlst du dich damit? Hast du diese Rolle selbst gewählt oder wird sie dir eher zugeschrieben?
- Welche Rolle(n) möchtest du gerne künftig einnehmen? Wie kannst du vorgehen, welche Gelegenheiten ergeben sich dafür?
Über das Instrument "Rollenvorbilder" nähern wir uns zudem der Frage, welche Funktionen Vorbilder auf dem Weg zur Gründung einnehmen und wie Gründerinnen selbst eine authentische Vorbildfunktion entwickeln und für ihre eigene Sichtbarkeit nutzen können.
Die Workshops wurden bereits in Kooperation mit einigen Stakeholdern aus dem Startup-Unterstützungssystem angeboten, konkret mit der Female Founders Alliance FrankfurtRheinMain/Hessen & beyond und jumpp – Ihr Sprungbrett in die Selbständigkeit – Frauenbetriebe e.V. Zur weiteren Verstetigung werden die Inhalte derzeit im Rahmen von Podcasts und Erklärvideos aufbereitet.